Indische Naechte
den üblichen Ausdruck für Europäer benutzte.
Laura bedankte sich bei ihrer Gastgeberin mit einem tiefen Knicks, dann betrat sie da Gästezimmer. Die fensterlose Kammer enthielt keine Möbel außer einem Tisch mit einer flackernden Öllampe darauf und zwei der mit Schnur bespannten Liegen, die Charpoys genannt wurden. Ian saß auf der Kante des einen und trug das lockerfallende Gewand, in dem er schlief. Als Laura eintrat, sah er von der Karte auf, die er studierte, und lächelte sie kurz an. »Wie war es im Purdah?«
»Fröhlicher als ich erwartet hätte.« Lauras Blick wurde von dem lockigen Haar gefangen, das aus dem Ausschnitt seines Gewands lugte. Es kostete sie Mühe, die Augen abzuwenden. Als sie zu ihrem Gepäck hinüberging, hörte sie von draußen das Geräusch eines Balkens, der als Riegel vor eine Tür geschoben wurde. Sie blickte über die Schulter. »Sind wir für die Nacht eingesperrt?« fragte sie verdutzt.
»Nur in einer Richtung. Es gibt zwei Türen, und eine führt nach draußen. Durch die könnten wir hinaus, wenn wir wollten.« Ian deutete auf die gegenüberliegende Wand, wo eine zweite Tür fast ganz im Schatten verborgen lag. »Besucher kommen direkt aus dem Tamarindenhain hier herein.«
Lauras Blick fiel auf die verriegelte Tür zum Hof. »Die Pathanen nehmen die strikte Trennung mächtig ernst, nicht wahr?«
»Allerdings«, antwortete Ian. »Eine Frau, die versehentlich einem nichtverwandten Mann ihr unver-
schleiertes Gesicht zeigt, wird wahrscheinlich von ihrem Gatten wegen ihrer >Untreue< getötet. Nachdem er den Mann, der ihn beleidigt hat, ins Jenseits befördert hat, versteht sich. Auch wenn Habibur mich als einen Adoptivsohn betrachtet, würde er mich eigenhändig erschießen, wenn ich die Ehre irgendeiner Frau hier befleckte.«
Laura verzog das Gesicht. »Das ist nicht besser als der Brauch der Sati. Dabei hatte ich gedacht, das System der Pathanen wäre vergleichsweise sinnvoll.«
»Ist es in vieler Hinsicht, aber die Ehre bedeutet ihnen alles.« Er lächelte ohne Humor. »Briten sind da kaum anders.«
»Warum lebt Habibur eigentlich hier, weit entfernt von seinem Volk?«
»Pathanen leben traditionell davon, Durchreisenden Geld abzuknöpfen, um ihnen eine sichere Reise durch die Berge zu garantieren. Habibur dagegen ist etwas geschäftstüchtiger«, erklärte Ian. »Es hat mit einem Pferdemarkt in der nächsten Stadt von hier angefangen. Inzwischen ist er der wichtigste Viehlieferant im nördlichen Indien. Nachdem er einen solchen Erfolg gehabt hatte, zog er mit seinem gesamten Hausstand hierher. Es gibt zwar auch ein paar Nicht-Pathanen hier, aber im großen und ganzen läuft alles so, wie die Traditionen seines Volkes es bestimmen.«
Ian wandte sich wieder seiner Karte zu, und Laura nutzte die Gelegenheit, sein Gesicht zu mustern. Dies war seit Tagen das erste Mal, daß sie allein waren. Trotz des leicht angespannten Ausdrucks sah Ian gut aus - geschmeidig, muskulös, gesund. Er würde niemals dick werden, aber er hatte endlich genug zugenommen, um nicht mehr so dünn zu wirken. Ihr Blick wanderte zur Liege. Sie war breit genug für zwei, wenn er sie bei sich liegen ließ, wogegen sie bestimmt nichts einzuwenden hätte.
Bevor ihre vage Hoffnung keimen konnte, unterbrach Ian ihre Gedanken. »Bevorzugst du irgendeins der Betten?«
»Beide sind in Ordnung.« Sie unterdrückte einen Seufzer. »Wie lange dauert es noch, bis wir Manpur erreichen?«
»Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, drei Tage.« Er faltete die Karte zusammen und steckte sie wieder in sein Gepäck, dann streckte er sich und musterte ohne Begeisterung das Gästezimmer. »Auch wenn es naß ist - am liebsten würde ich draußen schlafen.«
Selbst Lauras erzwungene Gelassenheit hatte Grenzen. Sie hatte ihre Stimme nicht so unter Kontrolle, daß er nicht hörte, wie verletzt sie war. »Ist es denn so unangenehm, in meiner Nähe zu sein?«
Er wirbelte herum und ging einen Schritt auf sie zu, stoppte aber dann. »Das ist es nicht, Laura«, sagte er. »In Buchara habe ich eine tiefe Abneigung dagegen entwickelt, in fensterlosen Räumen schlafen zu müssen. Selbst mit einer brennenden Lampe habe ich immer den Eindruck, die Wände rücken näher.«
Verlegen biß sich Laura auf die Lippe. »Ich habe wohl den falschen Schluß gezogen. Aber du bist seit kurzem so... so abweisend.«
»Tut mir leid«, erwiderte er mit Unbehagen. »Das liegt nur an meinen Stimmungen und hat nichts mit dir zu tun.«
Die
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