Indische Naechte
dieser Nacht kniete ich vor dem Geländer, klammerte mich an die Holzstangen und war davon überzeugt, daß die beiden Menschen, die ich am meisten liebte, sich direkt vor meinen Augen umbrachten. Als er sie auf den Boden zerrte und sie... zu kopulieren begannen, sprang ich auf, rannte in mein Zimmer zurück und versteckte mich heulend unter meiner Decke. Am nächsten Morgen konnte ich nicht fassen, wie normal alles war. Meine Mutter trug ein etwas höher geschlossenes Kleid und eine höchst zufriedene Miene zur Schau, und mein Vater war völlig ausgeglichen und fröhlich.«
»Es überrascht mich nicht, daß du verängstigt und verwirrt warst«, sagte Ian ernst, »aber dieses eine Erlebnis kann kaum der einzige Grund für dein panisches Verhalten sein.«
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und stemmten sich in die Matratze neben ihrem Körper. »Da waren noch andere Dinge. Das Schlimmste kam ein paar Jahre später, als... mein Vater starb.« Sie konnte nicht weitersprechen.
Als ihr Schweigen andauerte, fragte Ian: »Du hast mir erzählt, daß dein Vater Selbstmord begangen hat. War es so?«
»Ja, das war die Wahrheit, aber nicht die ganze.« Einen Moment verbarg sie das Gesicht in den Händen, als sie versuchte, die Kraft aufzubringen, auszusprechen, was sie nie zuvor gesagt hatte. »Am Tag, an dem er starb, hatten sie einen häßlichen Streit. Sie waren im Wohnzimmer und ich in der Bibliothek, die von dem Raum abging. Die Tür stand offen, so daß ich jedes Wort verstehen konnte, aber sie hatten keine Ahnung, daß ich da war.«
»Du scheinst mit deiner Lauscherei kein Glück gehabt zu haben.«
Laura schnitt eine Grimasse. »Es war eher so, daß , meine Eltern zu sehr mit ihren Emotionen beschäftigt waren. Wenn man in diesem Haus lebte, war es unmöglich, nicht zu wissen, was zwischen den beiden vorging. Wenn ich oben in meinem Zimmer gewesen wäre, hätte ich vermutlich dennoch jedes Wort gehört. Die Diener hatten an diesem Tag Ausgang, sie hatten also keinen Grund, sich zu beherrschen.
Meine Mutter hatte gerade herausbekommen, daß Papa ihr untreu gewesen war. Keine große Affäre, nur ein kurzer Rausch mit einer verheirateten Frau aus ihren Kreisen. Ich glaube, die Frau wollte ihm Unannehmlichkeiten machen, denn sie kam sofort zu meiner Mutter und berichtete unter Tränen ihr sündhaftes Verhalten.
Mama war krank vor Eifersucht und konfrontierte meinen Vater mit dem, was sie erfahren hatte. Sie drohte, ihn mit einem Messer zu verstümmeln, so daß er sie nie wieder betrügen könnte. Anstatt die Sache zu leugnen oder sie zuzugeben und um Verzeihung zu bitten, versuchte mein Vater dummerweise, die Angelegenheit herunterzuspielen. Er meinte, es wäre absolut bedeutungslos gewesen, und Tatjana sollte sich nicht so künstlich aufregen. Schließlich wäre sie die Frau, die er liebte, und sie sollte sich nicht wie eine Furie benehmen.
Ich konnte nicht sehen, was sich abspielte, aber von den Geräuschen her, warf sie den Schürhaken nach ihm«, fuhr Laura fort. »Dann antwortete sie, daß sie, wenn Sex so bedeutungslos wäre, zu Graf Vyotow gehen und die Beine für ihn breitmachen würde, da er sie schon seit Jahren zu verführen versuchte. Mein Vater explodierte und brüllte, daß ein Mann das Recht hatte, mit anderen zu schlafen, eine anständige Frau aber nicht. Meine Mutter lachte nur und fragte ihn, warum sie anständig sein sollte, wenn ihr Mann es nicht war?«
Lauras Stimme brach, als sie die Szene so lebhaft wie an jenem Tag vor sich sah. »Papa nannte sie Hure und schlug sie; ich hörte sie schreien und auf irgendein Möbel krachen, dann fiel sie zu Boden. Ihre Stimme wurde zu einem Zischen, dem scheußlich-sten Geräusch, das ich je gehört habe. Sie sagte, sie würde noch in dieser Nacht das Haus verlassen und zu Graf Vyotow gehen. Papa drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie das täte, und sie erwiderte, dann sollte er schon mal das Gewehr holen, denn nur der Tod würde sie noch daran hindern.«
Einmal mehr bekam Laura kein Wort mehr heraus. Voller Mitgefühl sagte Ian: »Haben sie miteinander gerangelt, wobei sie ihn versehentlich erschossen hat?«
»Nein. Es wäre furchtbar gewesen, aber auf eine scheußliche Art hätte es einen Sinn ergeben«, flüsterte Laura. »Statt dessen sagte Papa, er könnte die Frau, die er liebte, nicht töten, aber sich selbst, wenn sie ihn betrog. Kalt wie Eis erwiderte meine Mutter, daß es schade wäre, wie gering er die Liebe eingeschätzt hatte, denn sein
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