Indische Naechte
Rajiv Singh — eine natürliche Führungspersönlichkeit, ein erfahrener General, der sein eigenes Gebiet beträchtlich vergrößert hat, und ein Fürst, der die britischen Herrscher haßt. Er ist der Mann, der die rebellischen Truppen zusammenschweißen kann.«
»Und indem er das täte, würde er ein Feuer entzünden, das sich über ganz Indien ausbreiten würde.« Ian starrte blicklos an die Wand, als die Teile sich zu einem Ganzen zusammenfügten. »Das war es, was Pjotr mir vor seiner Hinrichtung sagen wollte. Im richtigen Augenblick kann ein Funke eine ganze Serie von Bränden auslösen. Der Sirkar kann ein oder zwei Aufstände niederschlagen, aber keine Aufstände auf allen Seiten.«
»Es wird noch schlimmer«, sagte Laura gepreßt. »Er hatte ein paar teuflische Ideen, die Leute gegen die Briten aufzuhetzen, einschließlich Mittel, die eingeborenen Soldaten zur Meuterei zu bewegen.«
Ian war schockiert. »Wie zum Teufel wollte er das denn machen?«
»Kriegführung durch Gerüchte würdest du es vielleicht nennen.« Laura konsultierte den Zettel. »Ich verstehe das nicht ganz, aber er schreibt, die Armee würde angeblich bald eine neue Waffe geliefert bekommen. Eine, die eine Papierpatrone braucht, in der sich sowohl Pulver als auch Kugeln befinden?«
»Ja. Die Patrone wird aufgebissen, um an das Pul-ver zu kommen«, erklärte Ian. »Das kippt man dann in den Lauf, und die Kugel wird oben draufgerammt.«
Ihre Augen weiteten sich. »Jetzt verstehe ich! Pjotr meint, die Hülse sei mit Fett eingeschmiert, und er verbreite das Gerücht, daß es sowohl Rinderais auch Schweinefett enthielt.«
»Verflucht!« Etwas ruhiger setzte Ian hinzu: »Wenn ein Soldat also auf eine Hülse beißt, wäre er befleckt — durch Rinderfett, wenn er Hindu ist, als Moslem durch Schweinefett.«
»Richtig.« Sie zog die Brauen zusammen. »Und er hat sowohl den Hindu- als auch den moslemischen Geistlichen den Gedanken eingepflanzt, daß die Briten damit versuchen wollten, das Kastensystem absichtlich zu durchbrechen, damit die Soldaten leichter zum Christentum bekehrt werden könnten.«
Ian konnte es kaum glauben. »Vor etwa zwanzig Jahren hätte ein solches Gerücht nicht viel ausgemacht, doch inzwischen ist die Anzahl der Missionare und eifernden christlichen Verwalter gewaltig gestiegen. Viele würden nur allzu gerne die Anweisung religiöser Toleranz mißachten und dieses Land in eine christliche Nation verwandeln.«
»Was nie geschehen kann«, setzte Laura schlicht hinzu. »Hinduismus ist zu sehr mit Indien und seiner Kultur verwoben.«
»Du und ich wissen das, aber es gibt genug Fanatiker, die Pjotrs Gerüchte rebellisch machen könnten. Kommt noch etwas?«
Sie blickte wieder auf die Notizen. »Anscheinend hat Pjotr gehört, daß die britische Regierung ein Gesetz erwägt, daß ein Fürstenstaat nicht an einen adoptierten Sohn, sondern ausschließlich an einen leiblichen Erben übergehen kann. Wenn keiner da ist, will der Sirkar den Staat annektieren. Pjotr hat diese Möglichkeit jedem einheimischen Fürsten gegenüber erwähnt, den er getroffen hat.«
»Daher hatte Rajiv Sing also die Information. Gerade heute hat er mir davon erzählt. Natürlich schürt die Furcht, daß Dharjistan annektiert werden könnte, seinen Haß auf die Briten. Pjotr hat ganze Arbeit geleistet.« Ian schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, dein Onkel wäre nicht so verdammt schlau gewesen. Steht noch etwas drin?«
»Ich fürchte, ja«, antwortete Laura. »In Afghanistan erfuhr er von einem schmalen Pfad durch die Berge in der Nähe des Khyber-Passes. Mehr ein Ziegensteig eigentlich, so daß er hauptsächlich von Pathanen benutzt wird. Weil er jedoch nicht oft begangen wird, ist der Übergang nicht so bewacht. Pjotr spekulierte, daß die Afghanen zur richtigen Zeit durch diesen Paß strömen und in Indien sein könnten, bevor jemand weiß, daß sie kommen.«
»So eine verdammte Sauerei!« fluchte Ian. »Die neuen Waffen sind zwar noch nicht da, aber alle anderen Bedingungen sind erfüllt. Wenn Rajiv Singh sich gegen den Sirkar erheben will, dann ist jetzt der richtige Moment.« Kurz berichtete er ihr die Neuigkeiten, die er erfahren hatte. »Und irgend etwas in seiner Laune heute morgen erweckte in mir den Eindruck, daß er losziehen will.«
Laura wurde bleich, als sie das hörte. »Du glaubst, die Afghanen könnten im Zuge des Sieges nach Indien strömen und Pjotrs Jihad beginnen?«
»Ja, ich glaube, das ist wahrscheinlich — eine bessere
Weitere Kostenlose Bücher