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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Zeit exekutiert zu werden«, antwortete Ian. »Es war hilfreich, daß Pjotr und ich etwa dieselbe Größe hatten, beide dürr wie Vogelscheuchen waren und ziemlich wilde Bärte das meiste unserer Gesichter verbargen. Sein Haar war zwar dunkler als meines, aber wir waren beide so verdreckt, daß das kaum auffallen konnte. Schon gar nicht Männern, die der Meinung sind, daß alle Ferengis, alle Europäer, gleich aussehen.«
    Tränen glitzerten in Lauras Augen. »Weil Sie also jünger und Ihre Überlebenschancen größer waren, hat Pjotr sich für den Tod entschieden.«
    Ja, und es war außerordentlich schwer gewesen, dieses Geschenk anzunehmen. Aber das brauchte Pjotrs Nichte nicht zu wissen. »Später habe ich gehört, daß Ihr Onkel sehr tapfer in den Tod gegangen ist. Er stand aufrecht, bekreuzigte sich und rief, er würde als Christ sterben. Dann empfahl er Gott seine Seele.«
    »Seltsam«, murmelte sie. »Ich wußte nicht, daß er so religiös war.«
    »Früher vielleicht nicht, aber die Gefangenschaft reduziert das Leben auf das Wesentliche.« Ian hatte Pjotr um seinen Glauben beneidet, der in diesen Monaten gewachsen war, bis er sich zu einem Leuchtfeuer entwickelte, das sie beide gewärmt hatte. Dann war Pjotr gestorben und hatte das Licht mit sich genommen.
    Laura wappnete sich sichtbar für die Antwort, die sie haben wollte. »Wie ist er exekutiert worden?«
    Ian bewunderte sie immer mehr. Indien ließ in europäischen Frauen Extreme hervortreten — sie wurden entweder sehr stark oder zerbrachen. Laura tat letzteres gewiß nicht. »Pjotr wurde geköpft«, erklärte Ian. »Es ist nicht angenehm, sich das vorzustellen, aber es ist schnell und relativ schmerzlos. Der Emir hat sich für sehr menschlich gehalten, als er das Urteil von Hängen zu Köpfen änderte.«
    »Verzeihen Sie mir, wenn mich die Freundlichkeit des Emir nicht beeindruckt«, sagte sie trocken. »Aber zumindest haben Sie es geschafft, zu überleben. Hat die britische Regierung Ihre Befreiung bewirkt?«
    »Schwerlich. Sie war nur zu gern bereit, meinen Tod hinzunehmen«, erwiderte Ian, ohne seine Bitterkeit ganz verbergen zu können. »Meine Schwester und ihr Mann kamen nach Buchara und retteten mich aus diesem verdammten Loch durch einen gewaltigen Bluff!«
    Lauras Augen wurden groß. »Ihre Schwester?«
    »Juliet ist eine ziemlich bemerkenswerte Frau. Wenn Sie mögen, erzähle ich Ihnen später die ganze Geschichte, aber jetzt möchte ich Pjotrs letzte Bitte erfüllen.« Ian beugte sich zu seinem Gepäck und holte ein kleines, eckiges Paket heraus, das er Laura reichte. »Er wollte, daß ich Ihnen das gebe, wenn ich je die Möglichkeit dazu haben sollte. Da ich wußte, wo Ihr Stiefvater stationiert war, beschloß ich, es Ihnen persönlich auszuhändigen.«
    Sie wickelte die wasserabweisende Hülle auf und fand eine kleine russische Bibel. Der Band war ein Kunstwerk: Er war in geprägtes Leder gebunden und hatte ein handgemaltes Frontispiz, das im Stil der orthodoxen Kirche das Bild der Jungfrau mit dem Kind zeigte. Aber der größte Wert des Buches bestand darin, daß jedes Stückchen freies Papier mit russischer Handschrift bedeckt war.
    »Es ist Pjotrs Gefängnistagebuch«, sagte Ian. »Er wollte, daß Sie es bekommen.«
    Sie blätterte flüchtig durch die Seiten, während ihr schmerzlich bewußt wurde, daß ihr einziger Onkel diese Worte geschrieben hatte — und nun war er tot. »Haben Sie es gelesen?«
    Cameron schüttelte den Kopf. »Ich habe ein paar Worte Russisch von Pjotr gelernt, aber praktisch nur Flüche, und ich kann die Sprache weder lesen noch schreiben. Können Sie die Schrift entziffern?«
    Sie hielt auf einer der mittleren Seiten an und studierte die kyrillischen Buchstaben, die so klein geschrieben waren, daß sie sie fast nicht lesen konnte. »Ich kann zwar fließend Russisch und ich kenne Onkel Pjotrs Schrift, da er mir regelmäßig Briefe geschickt hat, aber das hier kommt mir fast vor wie ein Code. Er hat offenbar abgekürzt und Worte ausgelassen, um Platz zu sparen.« Mit einer steilen Falte zwischen den Augen begann sie langsam zu übersetzen. »>Gott sei’s gedankt, ich habe Gesellschaft. Ein Engländer leider, aber besser als nichts.<« Sie lächelte, biß sich dann aber auf die Unterlippe. »Tut mir leid. Er hat es sicher nicht als Beleidigung gemeint.«
    »Sie brauchen sich nicht für ihn zu entschuldigen. Ich war ebensowenig entzückt, meine Unterkunft mit einem russischen Offizier zu teilen. Doch mit der Zeit

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