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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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überdurchschnittlich groß war. Nun enthüllte das Licht der Dämmerung, daß ihre Augen die ungewöhnliche Farbe hellen Bernsteins hatten und ihr langes glattes Haar denselben Farbton aufwies. Laura hatte nichts von Georginas lebhafter, gold- und cremefarbener Schönheit, ihre Gesichtszüge waren kräftig, und sie strahlte eine gewisse Zurückhaltung aus, die ihr etwas Geheimnisvolles gaben. Es war ein interessantes Gesicht, es würde noch in Erinnerung bleiben, wenn man andere hübsche Gesichter längst vergessen hatte.
    Sein Blick glitt abwärts. Obwohl sie unter den gegebenen Umständen einen unweiblichen Mangel an panischer Reaktion vermissen ließ, zeigte ihr dünnes Nachtkleid nur allzu gut, wie weiblich sie war.
    Er seufzte, während er dachte, daß es nur ein Beweis mehr für seine Impotenz war, daß er ein attraktives Mädchen mit objektivem Abstand mustern konnte. Er war nie ein Schürzenjäger gewesen, der versuchte, jede Frau, die er traf, ins Bett zu bekommen, doch er war sich stets mit männlichem Begehren der Frauen um ihn herum bewußt gewesen. Ein Begehren, das er gar nicht zu schätzen gewußt hatte, bis er feststellen mußte, daß er es nicht mehr besaß.
    Nun wanderte sein Blick wieder zu ihrem Gesicht zurück. Sie hielt sich tatsächlich ausgesprochen gut, doch es war nicht zu übersehen, daß lähmender Kummer direkt unter der gefaßten Oberfläche lauerte. Er bedauerte, daß er ihr Elend nun noch steigern mußte. »Miss Stephenson«, sagte er. »Ich fürchte, es gibt da ein paar Entscheidungen, die nur Sie treffen können.«
    Sie sah ihn an. »Was für Entscheidungen?«
    Fasziniert entdeckte er, daß ihre Bernsteinaugen einen orientalischen Schwung besaßen, der ausgesprochen attraktiv wirkte. »Wollen Sie den Leichnam Ihres Vaters nach Baipur bringen?« Er zögerte einen Moment, bevor er hinzusetzte: »Es ist sehr heiß, und die Ochsenkarren werden tagelang unterwegs sein.«
    Als sie begriff, was er damit andeutete, spannten sich ihre Züge. »Mein Vater kann hier begraben werden. Er liebte ganz Indien... es spielt keine Rolle, ob er in Nanda oder Baipur die letzte Ruhe findet.« Sie strich sich fahrig durchs Haar, was die Strähnen nur noch wirrer machte. »Ich muß jemanden nach Nanda schicken, der den Dorfvorsteher vom Tod meines Vaters informiert und nach einem Platz für das Begräbnis fragt.«
    »Das habe ich schon getan«, sagte Ian. »Ich nehme an, der Vorsteher wird in Kürze persönlich erscheinen, um mit Ihnen zu reden.«
    Der Koch kam lautlos heran und stellte ein Tablett mit frischen Chapatis und einer Schüssel Dal, einem Linsengericht, nieder. Als Laura nur mit leerem Blick auf das Tablett starrte, sagte Ian: »Sie sollten besser etwas essen. Es wird kein leichter Tag werden.«
    Gehorsam nahm sie ein Chapati, riß sich ein Stück ab und tunkte das Brot in die Schüssel mit den Linsen. Sie kaute, schluckte und sagte dann ein wenig überrascht: »Ich habe wirklich Hunger. Ich glaube, ich habe seit gestern morgen nichts mehr gegessen.«
    Schließlich aß Laura sogar doppelt soviel wie Ian, obwohl das bei seinem Appetit ohnehin keine Leistung war. Als sie fertig waren, fragte sie: »Die Angelegenheit, wegen der Sie mit meinem Vater sprechen wollten... kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen? Ich... ich weiß, daß Sie gewiß so bald wie möglich wieder weiter möchten.«
    »Ich bin eigentlich nicht in Eile«, sagte er sanft. »Wenn Sie möchten, kann ich Sie nach Baipur zurückbegleiten.«
    Sie blinzelte und sah dann weg. »Ja, ich wäre froh darüber«, sagte sie langsam. »Wenn Sie sicher sind, daß es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Ich bin sicher.« Auch wenn sie ihn nicht darum gebeten hätte, so konnte Ian doch erkennen, daß sie dankbar für den Beistand eines Landsmannes war. Und zu seiner nicht geringen Überraschung mußte er sich eingestehen, daß er ihr auch gerne beistehen wollte. Er hätte natürlich jeder Frau geholfen, die in Schwierigkeiten steckte, aber Laura erweckte zusätzliche Beschützerinstinkte in ihm. Mehr noch: Er empfand eine Art Seelenverwandtschaft, wenn seine Art Schmerz auch ganz anders als der ihre war.
    Sie hatte sich wieder ein wenig gefaßt. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, warum Sie bis Nanda gekommen sind, um meinen Vater zu sprechen.«
    »Eigentlich ging es gar nicht um Ihren Vater«, erklärte Ian. »Ich suche ein russisches Mädchen namens Larissa Alexandrowna Karelian. Man hat mir gesagt, sie sei Stephensons Stieftochter. Haben Sie

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