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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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erkannte ich, daß ich mir keinen besseren Gefährten hätte wünschen können.«
    Sie seufzte. »Sie haben ihn gewiß weit besser kennengelernt, als ich es je konnte. Für mich war Pjotr eine Art Märchenfigur. Alle paar Jahre schneite er bei uns herein, brachte Geschenke mit und erzählte Geschichten. Ich kann mich noch an eine erinnern, in der es um einen gewaltigen Bär ging, der über die Eisgebiete im Norden wanderte und den Polarstern suchte. Statt dessen fand er eine Prinzessin namens Lara. Am nächsten Tag war Pjotr wieder fort.« Gedankenverloren strich sie über das geprägte Leder. »Vielen Dank, daß Sie es mir gebracht haben. Es hilft mir ein wenig, etwas von ihm zu besitzen.«
    Der schottische Akzent in seiner Stimme wurde einen Hauch deutlicher. »Es tut mir leid, daß er nicht selbst kommen konnte. Wenn er sich nicht geopfert hätte, dann wäre er jetzt vielleicht hier. Juliet und Ross hätten Pjotr nicht im Gefängnis sitzenlassen, wenn sie ihn an meiner Stelle gefunden hätten.«
    Die Schuld und der Kummer in seiner Stimme waren offensichtlich. »Aber Sie haben doch gesagt, er sei sehr krank gewesen. Pjotr hatte immer schwache Lungen. Wahrscheinlich hätte er die restliche Zeit im Kerker nicht überstanden.«
    »Wir konnten aber nicht sicher sein«, sagte Ian mit angespannter Stimme. »Weder er noch ich waren Ärzte. Möglicherweise hätte er noch weitere sechs Monate durchgehalten.«
    Die Qual in der Stimme des Majors brachte ihn ihr in gewisser Weise nah. Pjotr und Kenneth mochten keinen Kummer mehr verspüren können, aber die Hinterbliebenen würden noch eine lange Zeit unter dem Verlust leiden. »Sie dürfen sich nicht dafür bestrafen, am Leben zu sein«, sagte sie weich. »Wenn Sie gestorben wären, hätte ich vielleicht nie erfahren, was mit meinem Onkel geschehen ist, noch hätte ich dieses Buch, um mich an ihn zu erinnern.« Ihre Worte erreichten ihn nur oberflächlich, aber sie war zu erschöpft, um weiterzusprechen. »Ich ziehe mich jetzt besser an. Wie Sie schon sagten
    - es wird kein leichter Tag werden.«
    Für Laura verstrichen die Stunden in der verzerrten, gesteigerten Realität eines Traumes. Während sie ihr einziges dunkles Kleid angezogen hatte, war der Dorfvorsteher von Nanda bereits angekommen. Nachdem er Kenneths Gerechtigkeit und seine Weisheit gepriesen hatte, bot er ihr einen Begräbnisplatz auf einem Hügel an, der den kleinen Fluß überblickte. Zwei »Unberührbare« Frauen kamen vom Dorf herüber, um Laura zu helfen, den Leichnam ihres Stiefvaters für die Beerdigung vorzubereiten. Sie war dankbar für das Mitgefühl der Frauen und ihren erfahrenen Beistand, und es überraschte sie nicht, als sie hörte, daß sie auf Major Camerons Bitte gekommen waren. Er dachte offenbar an alles.
    In diesem heißen Klima fanden Beerdigungen so schnell wie möglich statt, und nur allzu bald war es Zeit, Kenneth Stephenson zu seiner letzten Ruhestätte zu geleiten. Sein eingewickelter toter Körper wurde auf einem Bambusbett von acht Männern getragen. In einer Hindufamilie würden diese aus seinen engsten Verwandten bestehen, aber nun waren es seine ältesten Diener und ein paar Freiwillige aus dem Dorf.
    Laura ging hinter der Trage her, an ihrer Seite ein schweigender Major Cameron, der jedoch stets zur Stelle war, wenn ihr die Knie zu versagen drohten. Ihnen folgten die Bewohner des Dorfes, und die Frauen jammerten und klagten über den Verlust eines Mannes, der nicht nur die Verkörperung des britischen Sirkar, sondern auch ein Freund gewesen war.
    Das Grab war bereits ausgehoben und ein stabiles, hölzernes Kreuz am Kopfende errichtet worden. Es war eine friedliche Stelle, die von Jacaranda-Bäumen beschattet und von einer Brise vom Fluß gekühlt wurde. Im Frühling würde die Luft vom Duft der Blüten erfüllt sein. Laura sah wie betäubt zu und konzentrierte sich nur darauf, diese Sache durchzustehen, ohne in der Öffentlichkeit zusammenzubrechen. Dies war eine der Gelegenheiten, bei denen sie am liebsten die britische Ruhe und Zurückhaltung zugunsten des russischen Temperaments verworfen hätte, aber mit den Jahren war Selbstkontrolle ihr zur zweiten Natur geworden.
    Ohne Geistlichen oder die vorbereiteten Sakramente entstand eine unangenehme Stille, nachdem der Tote in die Erde gelassen worden war. Bevor sich das Schweigen ausdehnte, begann Major Cameron auf Englisch zu rezitieren: »Der Herr ist mein Hirte...«
    Laura versuchte, die brennenden Tränen zurückzuhalten und

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