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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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war dankbar, daß Cameron einen Psalm gewählt hatte, den Kenneth sicher dem düsteren Begräbniszeremoniell vorgezogen hätte.
    Als Cameron schließlich endete, fügte er hinzu: »Die Arbeit eines Mannes zeichnet ihn aus. Obwohl ich nicht die Ehre hatte, Kenneth Stephenson kennenzulernen, ist die Liebe und die Verehrung, die ihm heute hier bezeugt wurden, das höchste Lob, das ein Mensch entgegennehmen kann. Möge er in Frieden ruhen.«
    Dann wiederholte der Major alles in Urdu, und die Dorfbewohner nickten zustimmend. Nachdem das Grab zugeschüttet worden war, drängten sich die Leute vor, um Blumengirlanden auf die frische Erde zu legen. Viele Frauen weinten unverhohlen. Wie der Major bemerkt hatte, war Kenneth Stephenson geliebt worden.
    Doch niemand würde ihn so sehr vermissen wie Laura. Als sie wie erstarrt ins Camp zurückkehrte, hatte sie sich noch niemals in ihrem Leben so einsam gefühlt.

Kapitel 6
    Laura ging direkt in ihr Zelt, um endlich in Ruhe weinen zu können. Ihre Tränen flossen noch immer, als der Nachmittag schon verstrichen war und die Nacht hereinbrach. Sie schämte sich, als sie erkannte, daß sie nicht nur ihren Stiefvater beweinte, sondern auch das leere Leben, das vor ihr lag, beklagte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie jemals wieder einer Person so nahestehen würde.
    Endlich versiegten die Tränen aus reiner Erschöpfung. Sie schlief sogar ein paar Stunden, nur um in der stillen Zeit vor der Dämmerung wieder zu erwa-chen. Diesmal hatte sie keine Orientierungsschwierigkeiten — sie wußte genau, wo sie war und was geschehen war. Nichts würde ihren Stiefvater zurückbringen. Es war an der Zeit, ihrem Leben entgegenzusehen. Sie kam auf die Füße und tastete nach dem Morgenmantel und den Slippern, die ihre Zofe stets bereitlegte.
    Draußen war die Luft angenehm kühl. Der Wald schlief niemals, und sie blieb im Eingang ihres Zelts stehen, um sich umzublicken. Die Szene ähnelte der des vergangenen Morgens, auch jetzt schliefen die Diener rund um das größere Feuer. In der Ferne heulte eine Hyäne.
    Viel näher zu ihrem Zelt saß Major Cameron, der im Schein des kleineren Feuers eine Schrotflinte reinigte. Das Licht verlieh seiner Gestalt eine Aura finsterer, mühsam zurückgehaltener Kraft. Sie hätte wachsam sein sollen, doch statt dessen fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Etwas an dem Mann gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, obwohl er eher Bedrohung ausstrahlte.
    Eine Bewegung hörend, hob er angespannt den Kopf. Laura blieb stehen, bis er sie erkannt hatte. »Schlafen Sie eigentlich nie, Major?« fragte sie, als sie sich dem Feuer näherte und in einen Klappstuhl setzte.
    »Selten. Und da ich schon unter Schlaflosigkeit leide, kann ich sie ebensogut nutzen.« Er befestigte einen Lumpen an dem gespaltenen Ende eines Putzstabs. »Die Waffe hätte sofort nach dem Abfeuern gestern nacht gereinigt werden sollen, aber in dem allgemeinen Tumult ist es übersehen worden.« Als er den Lauf der zerlegten Flinte hob, setzte er hinzu: »Und nennen Sie mich Ian. Ich bin kein Major mehr.«
    »Ich dachte, daß militärische Titel einen Mann den Rest des Lebens verfolgen.« Laura erkannte, daß es sich um Kenneths Flinte handelte. Sie freute sich, daß der Major daran gedacht hatte, denn Kenneth war immer besonders akribisch bei der Pflege seiner Ausrüstung vorgegangen.
    »Die Armee liegt hinter mir«, sagte Ian knapp. »Ich habe keinerlei Bedürfnis, den Rest meines Lebens dadurch gekennzeichnet zu sein.«
    Laura mußte noch nicht richtig wach gewesen sein, sonst hätte sie niemals gefragt: »Warum sind Sie ausgeschieden?«
    Er hob den Kopf und warf ihr einen Blick zu, der sie ihre Frage sofort bereuen ließ, doch bevor sie sich entschuldigen konnte, antwortete er: »Ich hatte genug.«
    Laura wollte dem Moment die Spannung nehmen. »Vielen Dank, daß Sie sich um so vieles kümmern... das Begräbnis, die Waffen, alles. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.«
    Er begann, die einzelnen Metallteile der Waffe mit einem öligen Lappen abzureiben. »Sie hätten es schon irgendwie geschafft.«
    »Wahrscheinlich. Aber Sie haben alles viel leichter gemacht.« Sie starrte ins Feuer. »Seltsam, wie schnell sich die Dinge ändern können. Vor eineinhalb Tagen hatte ich eine Zukunft und eine Familie. Nun ist mir beides genommen worden. Ich finde bestimmt etwas, um die Leere auszufüllen, aber ich habe keine Vorstellung, was es sein könnte. Der Gedanke daran ist ein wenig

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