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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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aufgewühlt, daß ich keinerlei Vorbereitungen getroffen habe. Aber es gibt ja keinen Grund, länger hierzubleiben.«
    Er nahm nun das Gewehr ihres Vaters und klappte den Lauf herunter. »Unglücklicherweise gibt es immer noch den Menschenfresser. Da Ihr Vater tot ist, hat sich die Aufgabe, ihn zu töten, auf mich übertragen. Der Dorfvorsteher hat mich gestern nachmittag darauf angesprochen.«
    »Oh. Den Tiger habe ich ganz vergessen«, gab sie zu. »Ihn aufzuspüren könnte Tage oder Wochen dauern.«
    »Ich fürchte ja«, sagte er entschuldigend. »Vielleicht ziehen Sie es vor, mit Ihren Dienern nach Baipur zurückzukehren, ohne auf mich zu warten. Ich will zwar nicht bis in alle Ewigkeit hier ausharren, aber vierzehn Tage wollte ich mir schon geben.«
    Laura zögerte. Sie spürte, daß sie keine Entscheidung treffen konnte. »Ich werde abwarten. Vielleicht erwischen Sie das Tier ja schon beim ersten Versuch.«
    »Auch das könnte sein. Die Dorfbewohner haben bereits sorgfältige Vorbereitungen getroffen, damit alles bereit war, wenn Ihr Vater kam. Sie haben am Wasserloch, zu dem der Tiger oft kommt, einen Machart gebaut, eine Plattform.« Er benutzte den Putzstab, um einen geölten Lappen durch den Lauf zu schieben, damit sich das restliche Schwarzpulver löste. »In dieser Nacht steht der Mond fast voll am Himmel, also wird eine Ziege als Köder ausgelegt werden. Wenn der Tiger mitmacht, ist morgen früh vielleicht alles vorbei.«
    »Ich nehme an, Sie haben schon einmal einen Tiger gejagt?«
    »Ja, obwohl es fünf Jahre her ist.« Seine Miene wirkte abwesend, als er weitersprach. »Es war, als mein Schwager mich das letzte Mal besuchte. Wir jagten im Bergland nördlich von Cambay. Ein paar Tage lang verfolgten wir den Tiger und trieben ihn vor uns her, bis wir ihn endlich in einer Felsschlucht erwischten. Ross war in der besseren Schußposition, also wartete ich, daß er ihn erledigte. Aber er schoß nicht, selbst dann nicht, als der Tiger die Richtung änderte und direkt auf ihn zustürzte. Ross wurde zu
    Boden gerissen, und ich war sicher, daß es aus mit ihm war - und war zu Tode erschrocken. Ich feuerte wild auf den Tiger, verfehlte ihn aber. Dann lief ich zu Ross, befürchtend, ihn zerfleischt vorzufinden. Nichts dergleichen — es ging ihm hervorragend. Er hatte sich absichtlich zu Boden fallen lassen, damit der Tiger über ihn hinwegsetzen und entkommen konnte.«
    Ians Stimme bekam einen Hauch von spöttischer Selbstkritik. »Ich war so erleichtert, ihn gesund und munter zu sehen, daß ich meine Beherrschung verlor. Ich brüllte ihn an, was für ein Vollidiot er doch sei, und Ross wartete meinen Ausbruch geduldig ab; er selbst ist sein einziger Fehler, der vernünftigste Mensch der Welt. Dann sagte er, daß er zu dem Schluß gekommen sei, das Tigerfell sähe an seinem ursprünglichen Besitzer besser aus als an einer Wand. Und außerdem, was für eine Art sportlicher Wettbewerb wäre das denn, wenn wir Gewehre hätten, der Tiger aber nicht?«
    Laura lachte. »Das ist ein Argument.«
    »Das stellte ich auch fest, als ich mich wieder beruhigt hatte. Ein Tiger ist ein herrliches Tier - vielleicht ist es der pure Neid, der den Menschen dazu bringt, ihn zu jagen. Aber wie Ross sagte, stehen die Chancen für einen Menschen weit besser, was wirklich nicht gerade besonders fair für den Tiger ist. Nach seinem Besuch hatte ich das Interesse an Jagdtrophäen verloren. Seitdem habe ich mich auf Tiere konzentriert, die man essen kann.«
    »Da wir gerade von essen reden: Wenn Tiger Geschmack an Menschenfleisch entwickeln, haben sie ganz entschieden die besseren Chancen als unbewaffnete, harmlose Bauern«, bemerkte Laura.
    »Das ist nur zu wahr. Und deswegen will ich den hier auch erwischen. Er hat in Nanda und den Nachbardörfern bereits gut ein Dutzend Leute umgebracht. Ich werde heute morgen das Wasserloch absuchen. Am Nachmittag werde ich dann auf dem Machan die Dämmerung erwarten.« Fast beiläufig fragte er: »Hätten Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«
    »Auf dem Machan?« fragte sie verdutzt.
    Er nickte. »Um das Wild nicht zu stören, werden wir gehen müssen, aber das Wasserloch ist nur knapp drei Meilen entfernt.«
    Laura überlegte einen Moment. Heute mußte Kenneths Habe durchsucht, das Bettzeug zum Schutz vor möglicher Ansteckung verbrannt, einige seiner Besitztümer an die Diener und andere für den Rückweg nach Baipur mußten eingepackt werden. Aber nichts davon würde viel Zeit kosten, und wenn

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