Indische Naechte
daß die Ehe nichts für sie war. Ansonsten wäre sie durchaus versucht gewesen, ein paar Köder auszuwerfen.
Ian verbrachte den Tag höchst produktiv, indem er sich unter der Führung von Punwa, einem wortkargen Jäger, der zum Dorf gehörte, mit dem Wasserloch und der Umgebung vertraut machte. Als er schließlich den Inder verließ und zu Fuß von Nanda zum Camp zurückkehrte, stellte er plötzlich fest, daß er sich besser fühlte, als er das eine lange Zeit getan hatte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten seine ganze Aufmerksamkeit gefordert und ihn wenigstens vorübergehend von seinem eigenen Elend abgelenkt. Er war immer noch nicht wieder wie früher, denn die Schatten der Melancholie hatten sich nur ein wenig zurückgezogen, waren nicht ganz verschwunden. Dennoch konnte er nun zum ersten Mal daran glauben, daß das Leben eines Tages für ihn mehr Freude als Leid bedeuten würde.
Auch die Stunden, die er im Wald verbracht hatte, waren Balsam gewesen. Er hatte die Natur immer schon geliebt, ob es sich um den Dschungel, die Wüste oder die wunderbaren Hügel und Küsten von Schottland handelte. Obwohl er nicht gerade die Geduld in Person war, konnte er Stunden damit verbringen, auf das Erscheinen von Vögeln oder wilden Tieren zu warten. Doch seit seiner Flucht aus Buchara hatte er nur wenig Gelegenheit gehabt, die Natur zu genießen. Er hatte die letzten Monate damit verbracht, gesund zu werden und zu reisen, um einfach nur zu verweilen, war keine Gelegenheit gewesen.
Nein, das stimmte nicht. Es hatte Gelegenheiten gegeben, aber er war nicht fähig gewesen, sich an irgend etwas zu erfreuen.
Ian umrundete gerade einen Tümpel außerhalb von Nanda, als ein Dutzend wilder Pfauen aufflogen. Das metallische Blau und Grün der männlichen Tiere schimmerte in unfaßbarer Schönheit. Es war kein Wunder, daß sie in hinduistischen Mythen und Legenden einen besonderen Platz einnahmen; wenn Indien ein Lieblingstier hatte, dann den Pfau.
Aber ihre Erhabenheit verschwand, als die Tiere zu trinken begannen. Die Schwanzfedern ragten drollig in die Luft, wenn sie sich vornüberfallen ließen, um die Schnäbel ins Wasser zu tauchen, und fielen dann schlaff wieder zurück, wenn die Tiere sich aufrichteten, um zu schlucken. Die Pfauen wippten vor und zurück wie eine Ansammlung gefiederter Schaukeln. Und als Ian seinen Weg fortsetzte, stellte er fest, daß er lächelte. Das war in der letzten Zeit nicht häufig vorgekommen.
Laura brachte ihn zum Lächeln. Während er weiterging, begriff er, daß sie der Grund für seine bessere Stimmung war. Er hatte mit ihr offener reden können, als mit jedem anderen seit Pjotrs Tod. Vielleicht lag es daran, daß sie dessen Nichte war. Fasziniert entdeckte Ian immer wieder Gesten oder Redewendungen, die ihn an ihren Onkel erinnerten. Sie besaß auch einige von Pjotrs Charakterzügen, denn selbst in ihrem unendlichen Kummer hatte sie sich ihren Humor bewahrt.
Doch er vermutete, daß er sich deswegen in ihrer Nähe wohl fühlte, weil auch sie litt. Seit seiner Flucht aus Buchara hatte Ian gelernt, wie wahr das Sprichwort war, daß Elend Gesellschaft liebt. Der einzige Augenblick, in dem er sich einer Person nahegefühlt hatte, war die Nacht gewesen, in der seine Schwester an seiner Schulter geweint hatte, weil sie dachte, ihre Ehe sei gescheitert. Juliets Schmerz hatte ihn aus dem seinen herausgezogen, weil er sie trösten wollte. Er hatte ihr sogar einen Rat gegeben, der, wie sie ihm später berichtete, es ihr möglich gemacht hatte, den Abgrund zwischen sich und ihrem Mann zu überbrücken.
Es war ihm soviel schwerer gefallen, mit Juliet und Ross zusammen zu sein, als sie vor Glück strahlten. Eigentlich konnte er niemanden um sich herum ertragen, der glücklich und zufrieden war. Aber Lauras Gegenwart war tröstend, denn ihr Schmerz und ihre Verletzlichkeit waren seinen Gefühlen sehr ähnlich.
Er hoffte, daß sie sich dafür entscheiden würde, auf ihn zu warten, um nach Baipur zurückzukehren. Die Reise würde seine Rückkehr nach Schottland um einige Wochen verzögern, aber das war nicht wirklich wichtig. Er wollte sicherstellen, daß sie bei Freunden war, wenn er sich von ihr verabschiedete.
Ohne Erfolg dachte er darüber nach, wieso sie so gegen die Ehe war. Sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie grundsätzlich etwas gegen Männer. Die logischste Erklärung war, daß ihr jemand einmal das Herz gebrochen hatte. Wenn es so war, würde sie eines Tages einen Ehemann
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