Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
Vom Netzwerk:
erstaunlich unberührt von der Tatsache, daß sich ein gefährliches Raubtier an sie heranpirschte.
    Nach einigen nervenzehrenden Minuten tauchte der Leopard nur wenige Schritte von ihnen entfernt aus dem hohen Gras auf. Mit bebenden Schnurrhaaren und geducktem Körper drehte er den Kopf langsam hin und her, während er versuchte, die Witterung seines vermeintlichen Artgenossen ausfindig zu machen.
    Als sein Blick Ian und Laura erhaschte, nahm sein pelziges Gesicht einen Ausdruck an, der fast wie Schock aussah. Die Reaktion des Tieres war so komisch, daß Laura fast laut gelacht hätte. Der Leopard wirkte wie ein Vikar, der empört die Anwesenheit einer Kröte im Taufbecken entdeckte.
    Mit aufgestellten Nackenhaaren fauchte das Tier wütend die Gestalt an, die es gewagt hatte, wie ein Leopard zu sprechen. Dann wirbelte er herum und setzte mit flüssigen, anmutigen Bewegungen davon. Im Bruchteil einer Sekunde war er fort.
    Laura bemerkte, daß sie den Atem angehalten hatte, und so stieß sie nun bebend die Luft aus. »Warum haben Sie das getan?«
    Ian schenkte ihr etwas, das einem echten Lächeln schon verdammt nahekam. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht gerne mal einen Leoparden gesehen. Ein herrliches Wesen, nicht wahr?«
    »Ja, aber ich ziehe Katzen vor, die nicht groß genug sind, um mich zu fressen«, sagte sie ein wenig heiser.
    »Wir waren absolut nicht in Gefahr. Sie haben doch gesehen, wie er davonlief, als er bemerkte, daß wir Menschen sind.«
    Laura zog die Brauen hoch. »Wollen Sie mich davon überzeugen, daß Leoparden niemals Menschen angreifen?«
    »Nein«, sagte er, als sie sich wieder auf den Weg machten. »Aber Menschen zu fressen, ist ein abnormes Verhalten. Man redet vom Gesetz des Dschungels, aber Tiere töten nur auf Nahrungssuche.« Ein harter Unterton schlich sich in seine Stimme. »Die Menschheit könnte viel von ihnen lernen.«
    Vor ihnen flog ein Schwarm Vögel auf, der sich durch die Ankunft der Menschen gestört fühlte. Laura aber sah ihren Begleiter an und entdeckte den Hauch eines Lächelns in seinem Gesicht, als sein Blick den Vögeln folgte.
    »Wußten Sie, daß man hundert verschiedene Arten von Vögeln entdecken kann, wenn man sich irgendwo in Indien einfach ruhig hinsetzt und nur eine Stunde den Mund hält?« fragte er. »Ich habe mir früher immer ein Spiel daraus gemacht. Einmal habe ich einhundertdreiundsiebzig verschiedene entdeckt.«
    Laura empfand einen plötzlichen Anflug heftigen Mitgefühls für Ian. Was mußte es für einen Mann, der sich so gerne in der Natur bewegte, bedeuten, in einem finsteren, dreckigen Loch eingesperrt zu sein, wo es keine Blumen, kein Vogelgezwitscher, keine Sonne gab? Für ihn mußte es im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle gewesen sein. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter und sagte: »Warum sind Sie eigentlich nicht Waldhüter geworden, anstatt in die Armee einzutreten? Sie wissen mehr über die indische Landschaft als jeder, den ich kenne.«
    »Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, aber für einen energiegeladenen Achtzehnjährigen klingt so ein Zivildienst furchtbar langweilig.« Er warf ihr einen selbstironischen Blick zu. »Ich bin scharf darauf gemacht worden, zur Armee zu gehen und das Empire vor den Heiden zu retten. Den jungen Leuten fehlt noch der richtige Respekt vor dem Leben.« Er sah nach dem Stand der Sonne. »Wir sollten jetzt nicht mehr trödeln. Punwa wartet sicher schon auf uns.«
    Weitere zehn Minuten Wanderung brachte sie an ihr Ziel. Der Machan war eine rohgezimmerte, in einen Baum hineingebaute Plattform, ein Dutzend Fuß über dem Boden, von der man einen guten Blick auf das Wasserloch hatte. Der Standort war so gewählt, daß der Menschengeruch die Tiere nicht stören würde, wenn sie zur Tränke kamen.
    Ian verschränkte seine Hände, um eine Stufe zu formen, und Laura kletterte auf die Plattform. Er selbst wartete unten, bis Punwa mit der Ziege ankam, die als Köder gedacht war. Nachdem das kleine Tier angebunden und der Jäger fort war, schwang sich auch Ian auf die Plattform. »Der Menschenfresser ist ein alter Herr mit einer wehen Pfote und einem leicht erkennbaren Hinken. Punwa sagte, manchmal kommt auch eine junge Tigerin zum Trinken hierher, aber sie hätte noch nie Menschen angegriffen. Wenn sich also ein Tiger zeigt und ich nicht schieße, dann liegt es daran, daß es der falsche ist.«
    »Aber wird sie nicht die Ziege fressen?«
    »Wahrscheinlich. Wir müssen darauf hoffen, daß der richtige

Weitere Kostenlose Bücher