Indische Naechte
Wärme seines geschmeidigen Körpers. »Wie haben Sie es geschafft, zweimal so schnell zu schießen?« fragte sie. »Die Schüsse kamen direkt nacheinander.«
»Mein Gewehr ist ein Hinterlader«, erklärte er. »Es läßt sich viel schneller abfeuern als ein konventioneller Vorderlader, besonders, wenn man voller Panik ist!«
»Auf jeden Fall eine effektivere Waffe als mein Topi.«
»Vielleicht, aber den Helm zu werfen hat den Unterschied zwischen Entkommen und Tod ausgemacht. Sie haben rasch geschaltet.« Sein Arm zog sie fester an sich, und als er weitersprach, hörte sie kalten Zorn in seiner Stimme. »Sehen Sie sich die linke Vordertatze an. Die verkrüppelte. Das ist eine Schußwunde gewesen. Ein Jäger hat das Tier verwundet und sich dann nicht darum gekümmert, seine Arbeit richtig zu erledigen. Der Idiot war vermutlich schuld daran, daß der Tiger zu einem Menschenfresser wurde.«
»Wenn die Hindus recht haben, wird ihn die Gerechtigkeit im nächsten Leben ereilen«, sagte Laura mit zittrigem Humor. »Vielleicht wird er als Maus wiedergeboren, die von einer Katze gefressen wird.«
Ians Miene entspannte sich. »Das hoffe ich zutiefst.«
Der Dorfvorsteher kam nun heran. »Du bist sicher schwach, Memsahib. Möchtest du in einem Ochsenkarren zum Camp zurück?«
In dem Wissen, wie man auf einem Ochsenkarren herumgeschleudert wurde, schüttelte Laura den Kopf. »Ich möchte lieber gehen. Das wird mich ein wenig entspannen.«
Da Ian meinte, er bräuchte kein Tigerfell, versprach der Vorsteher, es nach Baipur zu senden, nachdem es gegerbt worden war. Von dort aus könnte es weitergeschickt werden, wenn Laura sich entschloß, Baipur zu verlassen. Ihr kam der Gedanke, daß es ihr Spaß machen würde, auf diesem besonderen Tigerfell herumtrampeln zu können.
Endlich nahmen sie ihre unterbrochene Wanderung zum Lager wieder auf. Bald fühlte sich Laura nicht mehr zu zittrig, war aber froh über Ians stützenden Arm.
Als sie außer Sicht der Dorfbewohner waren, sagte er: »Wenn Sie jemals wieder nach Nanda zurückkommen, könnten Sie feststellen, daß die Dorfbewohner einen kleinen Schrein für die Tigerlady aufgebaut haben.«
»Sie werden mich sozusagen zu einer Art Gottheit hochstilisieren?« fragte sie verblüfft.
»Das ist schon vorgekommen — ein paar Punjabis haben einen Kult zu Ehren eines britischen Offiziers ins Leben gerufen.« Ein amüsiertes Funkeln in den Augen, fügte er hinzu: »Ich finde, Sie würden eine annehmbare Göttin abgeben. Wie viele Frauen nehmen es vor dem Frühstück schon mit einem Tiger auf?«
Sie schauderte zusammen, als sie an die Fänge des Tigers dachte, die ihr so nahe gewesen waren. »Ich kann immer noch nicht glauben, was ich da getan habe.«
»Sich in den Weg eines Menschenfressers zu werfen, ist kaum eine vernunftgetriebene Tat, aber in einer Um-Leben-und-Tod-Entscheidung übernimmt oft der pure Instinkt das Denken. Es ist wie in einer Schlacht.«
»Dann danke ich Gott, daß ich kein Soldat bin.«
Mit einem warmen Blick sah er in ihre Augen. Dann beugte er sich zu ihrer Überraschung vor und küßte sie flüchtig auf die Stirn. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu dürfen, Larissa Alexandrowna.«
Die Berührung seiner Lippen war leicht, aber aus irgendeinem Grunde wurden Lauras Knie wieder weich. Vielleicht war die Nennung ihres russischen Namens der Grund, der den Augenblick so besonders machte. Aber als sie ihre Wanderung wieder aufnahmen, erkannte sie selbstkritisch, daß sie es durchaus mit einem zweiten Tiger aufnehmen würde, wenn er sie dafür noch einmal so anschauen würde.
Kapitel 8
Ich weiß nicht, wie Ian es schafft, seine gute Laune zu behalten, aber ich danke Gott für sein Lachen und sein freundliches Wesen. Wir reden praktisch über alles außer Politik, und wir erfahren viel voneinander. Ich denke jetzt auch daran, ihn als Schotte zu bezeichnen, nicht als Engländer, und er nennt mich bei meinem Vaternamen, wie ein höflicher Russe es täte. Kann da der Frieden zwischen unseren beiden verfeindeten, mißtrauischen Ländern noch weit entfernt sein?
Laura mußte über Pjotrs ironische Anmerkung lächeln. Jede Nacht las sie ein paar Zeilen seines Tagebuchs, bevor sie zu Bett ging. Sie kam jedoch nur langsam voran, zum einen, weil es Zeit kostete, Pjotrs winzige, abgekürzte Worte zu übersetzen, mehr jedoch, weil die Arbeit sie mindestens ebenso emotional erschöpfte wie sie lehrreich war. Sie hatte ihren Onkel zum letzten Mal gesehen, als sie kaum
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