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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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mehr als ein Kind gewesen war, und seine Briefe waren eher scharfsinnige, lustige Berichte über seine Reisen gewesen. Doch durch das Tagebuch lernte sie den Mann kennen, der er wirklich gewesen war, und das ließ sie seinen Tod noch mehr beklagen.
    Am Anfang, als ihr Onkel von seiner Gefangennahme und dem schrittweisen Verlust seiner Hoffnungen berichtete, waren seine Eintragungen nur sporadisch und sehr knapp erfolgt. Dann, nachdem Ian zu ihm in den Schwarzen Brunnen geworfen wurde, wurden die Abstände kürzer und der Tonfall wurde lockerer. Es war deutlich, daß die Kameradschaft für beide Männer ein lebenswichtiger Faktor war.
    Sie erfuhr über den Major genauso viel wie über Pjotr. Als Ian kam, halfen seine Fähigkeit, trotz aller Widrigkeiten zu lachen, und seine körperliche und emotionale Kraft ihrem Onkel, am Leben zu bleiben. Doch in den langen Monaten, die Ian allein gewesen war, hatte er offenbar das Lachen verloren. Sie hoffte, daß er es eines Tages wiederfinden konnte.
    Aber sie würde es ja niemals erfahren, denn morgen würden sie Baipur erreichen. Einen Tag später wäre er aus ihrem Leben verschwunden.
    Sie seufzte und beschloß, daß es besser sei, zu schlafen. Sie blätterte eine Seite weiter und wollte gerade ein Lesezeichen in das Buch legen, als sie plötzlich innehielt und mit konzentriert zusammengezogenen Brauen auf die Seite blickte. Die meisten Eintragungen waren am Rand in winziger, gestochener Schrift gemacht worden, doch auf dieser Seite waren Wörter quer über den gedruckten Text geschrieben worden. Irgend etwas an den Buchstaben schien hektisch, zwanghaft. Darüber hinaus war die Schrift krakelig und unsauber wie am Ende des Tagebuchs, als es um Pjotrs Gesundheit schlecht bestellt gewesen war.
    Es kostete sie eine Weile, bis sie die Wörter entziffert hatte, und dann war sie immer noch nicht sicher, ob sie es richtig übersetzt hatte. Sie las:
    »Möge Gott sich meiner Seele erbarmen, denn in meiner entsetzlichen Überheblichkeit legte ich ein Feuer, das ganz Indien vernichten kann. Ich bete, daß der Herr in Seiner unendlichen Weisheit den Regen schickt, der es löscht.«
    Sie überlegte, ob sie Ian fragen sollte, was diese geheimnisvollen Worte bedeuten mochten. Dann zuckte sie mit den Schultern und legte die Bibel weg. Was machte es für einen Sinn, Ian mit etwas zu belästigen, das wahrscheinlich das Produkt von Fieber und Depressionen war. Sie drehte die Lampe herunter, legte sich in ihr Kissen zurück und zog sich das Laken über die Schulter.
    Die Reise, die eine Woche gedauert hatte, war erfreulich ereignislos vonstatten gegangen, wenn man sie mit den turbulenten Tagen in Nanda verglich. Die Ochsenkarren erlaubten nur ein mäßiges Tem-po, und während sie langsam durch die Landschaft zuckelten, erwies sich Ian als angenehmer Reisegefährte. Obwohl er an Laura als Frau nicht interessiert war, schien er ihre Gesellschaft dennoch zu genießen. Die meiste Zeit ritten sie nebeneinander her. Ian sprach wenig, aber wenn er es tat, waren seine Kommentare immer sehr treffend und oft in einer trockenen, fast beißenden Art amüsant.
    Er war aber auch in der Lage, sie mit schweigendem Mitgefühl zu trösten, wenn sie es brauchte. Eines Nachts, als sie das Lager aufgeschlagen hatten, war sie allein auf einen Hügel geklettert, um den spektakulären Sonnenuntergang genießen zu können. Als die Sonne am Horizont in blutroten und goldenen Flammen unterging, lähmte sie eine Woge überwältigender Trauer.
    Niemals wieder würde sie einen so herrlichen Anblick mit ihrem Stiefvater teilen können. Für Laura verblaßte die Schönheit, wenn sie sie nicht mit jemanden teilen konnte, und der Schmerz über ihren Verlust ließ ihr die Tränen über die Wangen rollen. Sie weinte nicht nur um Kenneth, sondern auch um Onkel Pjotr, um ihre wunderbare, unkonventionelle Mutter und um ihren richtigen Vater, dessen Tod für sie so schmerzlich gewesen war, daß ihr Geist sich selbst jetzt noch weigerte, darüber nachzudenken.
    Plötzlich legte sich eine große Hand fest um die ihre und riß sie aus ihrer Verzweiflung heraus. Sie wußte, ohne hinzusehen, daß es Ian war, und sie war zutiefst dankbar, sowohl für seine Anwesenheit als auch für sein Schweigen. Als die Farben am Himmel verblaßten, reichte er ihr ein Taschentuch und begleitete sie ins Camp zurück. Keiner von ihnen sprach — es war nicht nötig.
    So wie Ian ein fast unheimliches Talent hatte, ihre Stimmung zu spüren, nahm sie die

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