Indische Naechte
gesund und normal wäre. Der bittere Zorn, der ihn überschwemmte, hatte nichts mit Vernunft zu tun.
Im Fahrwasser des Zorns kam schwarze, erstickende Verzweiflung, eine Schwermut, so durchdringend, daß er Angst hatte, sie würde auf die Frau in seinen Armen übergehen. Er löste sich mit zitternden Händen aus ihrer Umarmung und betete, daß sie nicht aufwachen würde.
Dann, in dem unbezwingbaren Bedürfnis nach frischer Luft, trat er wieder ans Fenster. Sein ganzes Wesen schmerzte in einer Qual, die so ganz anders als die körperliche Folter war. Er wußte nicht, wie er sie in Worte hätte fassen sollen. Draußen lockte und rief ihn der See - ein Ort voller Frieden und Vergessen. Und dennoch, dachte er mit einem Hauch bitteren Humors, selbst wenn ich die Kraft hätte, mich der Selbstzerstörung hinzugeben, bin ich immer noch ein viel zu guter Schwimmer, um in diesem Tümpel zu ertrinken. Er würde scheitern, so wie er bei allem gescheitert war, das dem Leben einen Sinn gab.
Zitternd vor Furcht schlang er die Arme um seine Körpermitte und lehnte sich an den Fensterrahmen, zu ausgelaugt, um sich aus eigener Kraft aufrecht zu halten. Er hatte in Laura seine Rettung gesehen. Statt dessen würde er sie in seiner Selbstsüchtigkeit in die furchtbaren Tiefen seiner Verzweiflung ziehen.
Und das war der quälendste Gedanke von allen anderen.
Laura erwachte und griff schläfrig über die weichen Laken, um ihren Ehemann zu berühren, doch Ian war nicht mehr neben ihr. Plötzlich hellwach, setzte sie sich auf und sah sich um. Im Licht der Nachttischlampe sah sie ihn am Fenster stehen. Vielleicht wollte er nur frische Luft schnappen, aber sie konnte nicht daran glauben, denn seine gekrümmte Gestalt strahlte verzweifelte Pein aus.
Er hatte sie vor seinen Stimmungstiefs gewarnt, und sie spürte, daß er nun an einem verlasseneren, schrecklicheren Ort war, den sie sich jemals vorstellen konnte. Hilflos starrte sie seinen Rücken an, unsicher, ob sie zu ihm gehen oder ihn lieber in Ruhe lassen sollte . Wenn er ihren Trost zurückwies, würde es nicht nur schrecklich weh tun, es würde ihr auch sehr viel schwerer fallen, es in Zukunft wieder zu versuchen.
Ihre Unentschlossenheit währte nicht lange. Laura konnte einfach nicht jemanden leiden sehen, ohne zu versuchen, zu helfen. Lautlos glitt sie aus dem Bett und ging über den kühlen Boden des Schlafzimmers. Ian hörte ihre Schritte nicht, und als sie näherkam, sah sie, daß er sich in einem tranceartigen Zustand befand und seinen Blick starr in die Ferne gerichtet hielt, ohne etwas zu sehen.
Sie schlang sanft ihre Arme um seine Taille und lehnte sich gegen ihn. Zuerst war sein kalter Körper noch steif wie eine Statue. Dann bewegten sich seine angespannten Muskeln. Für einen kurzen, schrecklichen Augenblick glaubte Laura, er würde sie von sich stoßen.
Statt dessen jedoch drehte er sich um und zog sie so fest in seine Arme, daß ihre Rippen schmerzten, und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Er bebte wie ein Mann, der um sein Leben gerannt war und endlich das Ende seiner Qual erreicht hatte.
Aus ihrem Instinkt heraus streichelte sie ihn, strich ihm über das weiche Haar und rieb sanft seinen Rücken. »Ah, Duschenka, meine Seele«, murmelte sie das zärtlichste aller russischen Koseworte. »Vor der Dämmerung ist es immer am dunkelsten, nicht wahr? Die Dämonen der Verzweiflung wollen dich nicht an das Licht verlieren, deswegen kämpfen sie wild um deine Seele. Aber sie werden dich nicht bekommen, denn ich will dich noch viel mehr.«
Ihre Worte zerstörten den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung und tiefe, rauhe Schluchzer erschütterten den Mann, der niemals zu weinen gelernt hatte. Selbst gefährlich den Tränen nahe, wiegte Laura ihn in ihren Armen und betete, daß seine Tränen heilen konnten, wie das Eitern eine entzündete Wunde.
Nachdem der Sturm der Gefühle sich gelegt hatte und er wieder reglos dastand, flüsterte sie: »Komm, mein Liebling, du brauchst Ruhe.« Dann führte sie ihn zum Bett zurück. Seine Bewegungen waren zittrig und unstet, aber er folgte ihr ohne Protest.
Als sie wieder unter den Laken lagen, zog sie ihn an sich, bis sein Kopf an ihrer Brust lag. Zuerst klammerte er sich an sie wie ein Ertrinkender, der sich an einem Stamm festhielt, doch allmählich löste sich die Verkrampfung, und sein Körper begann sich zu entspannen.
Für Laura genügte es schon, zu spüren, daß die schlimmste Phase seines Elends vorbei war, doch zu ihrer
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