Individuum und Massenschicksal
doch halten werde - sogar früher. »Ich weiß allerdings nicht, wie lange ich durchhalten werde«, sagte sie. »Seth überschüttet mich geradezu mit allen möglichen Themen...« Sie beschrieb mir einige davon, doch blieb mir keine Zeit, etwas aufzuschreiben, und ich konnte sie nicht behalten. Sie lachte. Sie war sehr entspannt. Und unversehens, um 20.23 Uhr, hatte sie, mühelos wie nur je, die Sitzung begonnen; ich mußte zügig schreiben, um mit ihrem Vortrag Schritt zu halten.)
Diktat: Nächstes Kapitel, das achte. Ruburt empfing es neulich (gestern) abends korrekt: »Von Menschen und Molekülen, von der Macht und dem freien Willen«.
Bevor wir den dritten Teil dieses Buches beenden, der von »
Menschen, die Angst vor sich selbst haben«, von Idealismus und Fanatismus und Interpretationen von Gut und Böse handelt, möchte ich noch ein anderes Beispiel erörtern, nämlich die Watergate-Affäre.
Gestern abend sahen Ruburt und Joseph eine Verfilmung der Ereignisse von Watergate. Normalerweise wäre eine Sitzung abgehalten worden, aber Ruburt interessierte sich für den Film, und mich interessierten Ruburts und Josephs Reaktionen auf denselben.
Ich sah mir gewissermaßen die Sendung zusammen mit euch beiden an. Genauer gesagt, ich habe mir gestattet, vor allem Ruburts Reaktionen wahrzunehmen, während er den Film anschaute. Aufgrund eines dieser sonderbaren Zufälle, die keineswegs Zufälle sind, wurde zur gleichen Zeit eine weitere Verfilmung derselben Watergate-Saga von einem anderen Sender ausgestrahlt, und zwar die Schilderung der spirituellen Wiedergeburt eines der getreuesten Gefolgsleute des Präsidenten.
Laßt uns kurz die ganze Affäre betrachten und dabei an einige schon früher gestellte Fragen erinnern: Wann wird ein Idealist zum Fanatiker, und wie? Und wie kann der Wunsch, gut zu sein, unheilvolle Folgen zeitigen?
Im Grunde war der Präsident zu dem betreffenden Zeitpunkt und eigentlich zeit seines Lebens ein strenger, unterdrückter Idealist von ziemlich konservativer Religiosität. Er glaubte an das idealisierte Gute, (laut) war aber zugleich zutiefst überzeugt von der heillosen Verderbnis des Menschen, einer Kreatur voll Bosheit und Arglist, die von Natur aus mehr dem Schlechten als dem Guten zugeneigt ist. Er glaubte an die absolute Notwendigkeit der Macht, wobei er zugleich überzeugt war, sie nicht zu besitzen. Außerdem glaubte er, das Individuum sei grundsätzlich außerstande, dem Übel und der Korruption, deren verheerenden Vormarsch er im eigenen Lande und in allen Ländern der Welt sah, entgegenzuwirken. Gleichgültig, wie viel Macht er gewann, ihm schien es, daß andere über noch mehr Macht verfügten - andere Menschen, andere Gruppen, andere Länder -, doch sah er deren Macht als böse an.
Denn während er an die Existenz eines idealisierten Guten glaubte, hatte er das Gefühl, daß die Bösen mächtig und die Guten schwach und kraftlos waren.
(20.38 Uhr.) Er konzentrierte sich auf die tiefe Kluft, die zwischen dem idealisierten Guten und dem konkreten, alles durchdringenden Bösen, das in seinen Augen sprunghaft anwuchs, zu bestehen schien. Er sah sich selber als Gerechten und betrachtete diejenigen, die nicht mit ihm übereinstimmten, als Erzfeinde; bis er schließlich das Gefühl hatte, von Korruption umzingelt zu sein und daß jedes ihm verfügbare Mittel gerechtfertigt sei, um diejenigen zu Fall zu bringen, die in seinen Augen eine Bedrohung für seine Präsidentschaft oder den Staat darstellten.
Er war so paranoid wie nur irgendein armer, dem Wahn verfallener Mensch, der allem Augenschein zum Trotz in dem Gefühl lebt, von Kreaturen aus dem Weltraum, irdischen Feinden oder okkulten Kräften des Bösen verfolgt zu werden. Solche armen Menschen sind imstande, in der harmlosesten Begegnung eine furchteinflößende Bedrohung auszumachen. Dieses Gefühl der Bedrohung projizieren sie nach außen, bis es ihnen, in jedem Menschen entgegentritt, dem sie begegnen.
Für die Mehrheit der anderen Menschen ist es offensichtlich, daß solche paranoiden Sichtweisen in der realen Massenwirklichkeit keine Grundlage haben. (Pause.) Euer Präsident jedoch erhielt damals von allen Seiten Unmengen an Informationen, so daß er von vielen Gruppen und Organisationen Kenntnis hatte, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren. Er nahm sie zum Vorwand, wie unter anderen Umständen ein Paranoider den Anblick eines Polizeiautos zum Vorwand des Beweises nähme, daß er von der Polizei oder vom
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