Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Gouverneurs, das größte und wohnlichste der Stadt, zum allgemeinen Treffpunkt entwickelt hatte. Vermutlich trugen auch meine Bemühungen, stets für Essen und Trinken zu sorgen, zu unserem gesellschaftlichen Erfolg bei.
Rodrigo war der einzige unserer Soldaten, der nicht über einen Schwarm von Buhlen verfügte oder Jagd auf fremde Frauen machte, die es zu schwängern galt. Er lebte mit Eulalia zusammen, einem hübschen Quechuamädchen aus Cecilias Dienerschar, das im Palast von Atahualpa aufgewachsen war und dieselbe hoheitliche Haltung und Würde besaß wie seine ehemalige Herrin, die Inkaprinzessin. Eulalia hatte sich in Rodrigo de Quiroga verliebt, kaum daß der zu unserer Expedition dazugestoßen war. Bei seiner Ankunft war er nicht minder verdreckt, ausgezehrt, bärtig und zerlumpt als die anderen gespenstischen Gestalten, die das Unternehmen in der Wildnis der Chunchos überlebt hatten, aber sie erkannte auf den ersten Blick, was in ihm steckte, noch ehe er von seinen Zotteln befreit und gewaschen war. Sie blieb nicht untätig. Mit viel Einfallsreichtum und Geduld eroberte sie Rodrigos Herz, und dann kam sie zu mir und berichtete von ihren Seelennöten. Ich legte bei Cecilia ein gutes Wort für sie ein, damit sie in Rodrigos Dienste wechseln konnte, führte an, daß die Prinzessin dochausreichend Dienerinnen habe, der arme Mann aber ganz auf sich gestellt und nur noch Haut und Knochen sei und womöglich sterben werde, wenn sich niemand um ihn kümmerte. Cecilia war zu klug, um sich von mir hinters Licht führen zu lassen, doch weil der Gedanke an die Liebe sie rührte, ließ sie ihre Dienerin ziehen, und so lebte Eulalia von da an mit Quiroga. Es war ein feinfühliges Miteinander; er behandelte sie mit väterlicher und respektvoller Höflichkeit, völlig unüblich für den Umgang der Soldaten mit ihren Mätressen, und sie erfüllte ihm eilfertig und ohne Aufheben jeden noch so kleinen Wunsch. Sie wirkte unterwürfig, aber ich wußte von Catalina, daß sie leidenschaftlich und eifersüchtig war.
Jetzt stand ich dort neben Rodrigo de Quiroga auf der Dachterrasse und sah zu, wie mehr als die Hälfte unserer Streiter die Stadt verließ, aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab, und ich fragte mich, wie dieser Mann wohl sein mochte und ob er Eulalia glücklich zu machen verstand. Ich kannte seinen Körper, hatte ihn gepflegt, als er krank aus der Wildnis der Chunchos gekommen war, und seine Wunden nach den Waffengängen gegen die Indios verarztet; er war schlank, aber sehr stark. Völlig nackt hatte ich ihn nie gesehen, aber wenn man Catalina glauben wollte »solltest du mal seinen Piripicho sehen, Mamita«. Die Dienstmädchen, denen nichts verborgen blieb, tuschelten, er sei überaus wohlbestückt; Aguirre dagegen, dieser Lüstling … aber, einerlei. Ich weiß noch, daß mein Herz mir einen Tritt versetzte beim Gedanken an das, was ich über Rodrigo gehört hatte, und das Blut schoß mir so heftig ins Gesicht, daß er es merkte.
»Ist Euch nicht wohl, Doña Inés?«
Hastig und innerlich aufgewühlt verabschiedete ich mich, um an mein Tagwerk zu gehen, während er sich dem seinen zuwandte.
Zwei Tage später, in der Nacht zum 11. September 1541, ich weiß es noch wie heute, griff die Streitmacht von Michimalonko und seinen Verbündeten Santiago an. Wie stets, wenn Pedro fern war, konnte ich auch in dieser Nacht nicht schlafen. Ich versuchte erst gar nicht, mich hinzulegen, ich war durchwachte Nächte gewöhnt und saß bis spät über meiner Näharbeit, nachdem ich alle ins Bett geschickt hatte. Genau wie ich war auch Felipe schlaflos. Häufig traf ich den Jungen bei meinen nächtlichen Wanderungen durch das Haus; reglos und stumm hockte er an unerwarteten Orten und starrte mit offenen Augen in die Finsternis. Vergeblich hatten wir ihm einen Strohsack zugewiesen, selbst einen festen Schlafplatz lehnte er ab, legte sich einfach irgendwo hin und nahm nicht einmal eine Decke, um sich warm zu halten. In jener Nacht, zu dieser ungewissen Stunde kurz vor Tagesanbruch, steigerte sich die Unruhe, die ich seit Pedros Aufbruch spürte, als krampfte sich eine Faust um meinen Magen. Ich hatte einen Gutteil der Nacht gebetet, nicht aus übertriebener Frömmigkeit, sondern aus Angst. Unter vier Augen mit der Jungfrau zu reden hat mir stets Erleichterung verschafft, doch in dieser langen Nacht konnte selbst sie meine bösen Vorahnungen nicht zum Verstummen bringen. Ich legte mir ein Tuch um die Schultern und begann
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