Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
geschleudert wie Melonen? Niemals. Sie würden ihn einen Feigling schimpfen, das Schlimmste für einen Krieger, und sein Name würde nicht in dieHeldenerzählungen der Stämme eingehen, sondern auf ewig verhöhnt werden. Cecilias Nachrichtenweg erwies sich dagegen als sicher. Von Weiler zu Weiler eilte die Kunde kreuz und quer durch das Tal, durch dichte Wälder und über Hügel und erreichte schließlich nach sechsundzwanzig Stunden den Gouverneur, der mit seinen Mannen noch immer vergeblich nach Michimalonko suchte und nicht ahnte, daß er einer List aufgesessen war.
Nachdem Rodrigo de Quiroga durch die Ruinen der Stadt gewandert und Monroy eine Einschätzung über unsere Verluste gegeben hatte, kam er, um nach mir zu sehen. Anstelle des tobsüchtigen Dämons, den er kurz zuvor ins Lazarett gebracht hatte, fand er mich, vom gröbsten Schmutz befreit und wieder bei Trost, mit dem Versorgen der vielen Verwundeten beschäftigt.
»Doña Inés … dem Himmel sei Dank …«, flüsterte er, und vor Erschöpfung traten ihm Tränen in die Augen.
»Legt die Rüstung ab, Don Rodrigo, damit wir nach Euren Wunden sehen können.«
»Ich dachte … Großer Gott! Ihr habt die Stadt gerettet, Doña Inés. Ihr habt die Wilden in die Flucht geschlagen …«
»Das dürft Ihr nicht sagen, es ist ungerecht gegenüber diesen Männern, die tapfer gekämpft haben, und gegenüber den Frauen, die ihnen beistanden.«
»Die Köpfe … es heißt, sie seien alle mit dem Blick auf die Indios zu Boden gegangen, und die sahen darin ein schlechtes Omen und suchten deshalb ihr Heil in der Flucht.«
»Ich weiß nicht, von welchen Köpfen Ihr sprecht, Don Rodrigo. Ihr seid ja ganz durcheinander. Catalina! Komm schon, Mädchen, hilf ihm, die Rüstung abzulegen!«
In diesen Stunden konnte ich mir Rechenschaft geben über mein Tun. Die erste Nacht und der nächste Morgen vergingen in der unermüdlichen Sorge um die Verwundetenund damit, aus den niedergebrannten Häusern zu retten, was zu retten war, aber ein Teil meiner Gedanken unterhielt ein beständiges Zwiegespräch mit der Jungfrau, in dem ich sie anflehte, wegen des begangenen Verbrechens ein gutes Wort für mich einzulegen und mir gegenüber Pedro beizustehen. Ich wollte mir seinen Zorn nicht ausmalen, wenn er das zerstörte Santiago sah und erfuhr, daß seine sieben Geiseln tot und wir den Wilden ohne jedes Pfand für Verhandlungen ausgeliefert waren. Wie sollte ich ihm erklären, was ich getan hatte, wenn ich es doch selbst nicht begriff ? Zu behaupten, ich hätte den Verstand verloren und könne mich kaum an das Geschehen erinnern, war eine Ausrede, die er niemals würde gelten lassen; außerdem schämte ich mich für das groteske Schauspiel, das ich seinen Hauptleuten und Soldaten geboten hatte. Am frühen Nachmittag des
12. September wurde ich schließlich vom Schlaf übermannt und konnte ein paar Stunden auf der Erde neben meinem Baltasar ausruhen, der sich bei Sonnenaufgang mit blutigen Lefzen und einem gebrochenen Bein heimgeschleppt hatte. Die nächsten drei Tage vergingen wie im Flug, wir räumten den Schutt weg, löschten die Brände und verstärkten die Barrikaden rund um den Platz, weil wir einen erneuten Angriff für unausweichlich hielten und uns nur dort würden verteidigen können. Zusammen mit Catalina durchwühlte ich die Ackerfurchen und die Asche in den Gärten auf der Suche nach allem, was für die Suppe brauchbar wäre. Das Pferd von Aguirre gab gutes Fleisch, aber ansonsten waren unsere Vorräte fast erschöpft; wir waren wieder in der Zeit der Gemeinschaftsküche angekommen, nur hatten wir diesmal nichts als wäßrige Suppe mit ein paar Kräutern und den wenigen Knollen, die wir ausgraben konnten.
Am vierten Tag erreichte Pedro mit einem Trupp von vierzehn berittenen Soldaten Santiago, seine übrige Schar würde folgen, so eilig sie konnte. Auf seinem Pferd Sultán ritt der Gouverneur zwischen die Ruinen dessen, was wireinmal Stadt genannt hatten, und konnte auf einen Blick die Größe unserer Niederlage ermessen. Rechts und links der Straßen stiegen noch schwache Rauchsäulen auf und zeigten an, wo einst Häuser gestanden hatten, und auf dem Platz fand er die Überlebenden zerlumpt, hungrig, mit Angst im Blick, die Verwundeten in schmutzigen Verbänden auf die Erde gebettet und seine Hauptleute, die, kaum weniger mitgenommen als die Yanaconas, zu helfen versuchten, so gut sie konnten. Ein Wachposten blies das Horn, und in einer übermenschlichen Kraftanstrengung
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