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Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Frauen, darunter Schwangere und Mütter mit Säuglingen in Tüchern auf dem Rücken, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bis zur Hüfte im kalten Wasser stehend, das Gold aus dem Sand wuschen und allem ausgeliefert waren: den Krankheiten, der Peitsche der Aufseher und der Mißhandlung durch die Soldaten.
    Als ich heute aus dem Bett aufstehen wollte, versagten mir zum erstenmal in meinem langen Leben die Kräfte. Wie eigenartig, zu spüren, daß der Körper dem Ende zugeht, obwohl der Geist weiter Pläne spinnt. Meine Mädchen halfen mir beim Ankleiden für die Messe, die ich täglich besuche, weil es mir Freude macht, unsere Señora del Socorro zu sehen, die jetzt ihr eigenes Gotteshaus hat und einegoldene, mit Smaragden besetzte Krone; wir sind so lang schon Freundinnen. Am liebsten besuche ich die erste Messe am Morgen, die für die Armen und die Soldaten gelesen wird, weil die Kirche zu dieser frühen Stunde geradewegs von Gottes Himmelslicht durchflutet scheint. Wie feurige Lanzen fallen die Strahlen der Morgensonne durch die hohen Fenster, durchschneiden das Kirchenschiff, erhellen die Heiligen in ihren Nischen und manchmal auch die Geister, die um mich sind und sich hinter den Säulen zu verbergen versuchen. Es ist eine stille Stunde, wie geschaffen für die Andacht. Nichts kommt dem rätselhaften Moment gleich, da Brot und Wein sich in den Leib und das Blut Jesu Christi verwandeln. In meinem Leben habe ich dies Wunder viele tausend Mal geschaut, und doch überrascht und bewegt es mich noch heute wie am Tag meiner Erstkommunion. Wenn ich die Hostie empfange, kommen mir unweigerlich die Tränen. Solange es irgend möglich ist, werde ich weiter die Messe besuchen und meinen Verpflichtungen nachkommen: gegenüber dem Hospital, den Armen, dem Kloster der Augustinerinnen, dem Bau von Kapellen außerhalb der Stadt, der Verwaltung meiner Güter und diesem Lebensbericht, der vielleicht zuviel meiner Zeit in Anspruch nimmt.
    Noch fühle ich mich nicht vom Alter besiegt, auch wenn ich mir eingestehen muß, daß ich umständlich und vergeßlich werde. Was mir früher wie selbstverständlich von der Hand ging, will mir heute kaum noch gelingen; meine Stunden reichen nicht hin. Aber meine alte Gewohnheit, mich sorgfältig zu waschen und anzukleiden, werde ich nicht aufgeben; bis zum Schluß will ich eitel bleiben, weil Rodrigo mich sauber und hübsch finden soll, wenn wir uns auf der anderen Seite wiedersehen. Siebzig Jahre, das scheint mir gar nicht so alt … Würde mein Herz durchhalten, ich könnte gut und gern zehn weitere leben, und dann würde ich mich erneut vermählen, denn zum Leben braucht es Liebe. Rodrigo würde das verstehen, das weiß ich, wäre esumgekehrt, er hätte meinen Segen. Wenn er noch bei mir wäre, würden wir einander langsam und ohne Getöse genießen bis ans Ende unserer Tage. Rodrigo fürchtete sich vor dem Tag, da er nicht mehr fähig wäre zur Liebe. Vor allem quälte ihn wohl der Gedanke, sich lächerlich zu machen, Männer sind in dieser Hinsicht heikel; aber man kann sich auf so viele Arten lieben, und ich hätte mir eine einfallen lassen, durch die wir noch als hutzlige Alte unser Vergnügen gehabt hätten wie in unseren besten Zeiten. Ich vermisse seine Hände, seinen Geruch, seinen breiten Rücken, seinen Flaum im Nacken, das Kitzeln seiner Barthaare, seinen Atem an meinem Ohr, wenn wir im Dunkeln zusammen waren. Ich sehne mich so danach, bei ihm zu liegen und ihn an mich zu drücken, daß ich manchmal am liebsten schreien will. Wo bist du Rodrigo? Wie sehr du mir fehlst!
    Heute vormittag kleidete ich mich um und verließ trotz der Erschöpfung in meinen Knochen und meinem Herzen das Haus, weil Dienstag ist, und da muß ich zu Marina Ortiz de Gaete. Meine Bediensteten tragen mich im Stuhl zu ihr, es ist nicht weit und lohnt nicht, die Kutsche anzuspannen; in diesem Land ist Angeberei sehr schlecht gelitten, und ich fürchte, die Kutsche, die Rodrigo mir geschenkt hat, wirkt sündhaft pompös. Marina ist ein paar Jahre jünger als ich, aber verglichen mit ihr bin ich der reinste Springinsfeld; Gott vergebe mir mein Lästermaul, aber sie ist mit den Jahren eine zimperliche und häßliche Betschwester geworden. »Ihr solltet eine Schildwache vor Eure Zunge stellen, Mutter«, ermahnst Du mich, wenn ich so rede, aber Du lachst, also erheitern Dich meine kleinen Gemeinheiten wohl; außerdem, Tochter, habe ich es mir redlich verdient, sagen zu dürfen, was andere bestenfalls denken. Ich

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