Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Krieger, und er machte aus seiner Bewunderung so wenig einen Hehl wie später dieser Dichter, der sogar ein Epos über Araukanien verfaßte. Erwähnte ich den bereits? Vielleicht nicht, aber, einerlei, jetzt muß ich mich wohl nicht mehr mit ihm befassen. Ercilla hat er geheißen. Als die Eheleute Belalcázar einsahen, daß sie den Mapuche niemals nah genug kommen würden, um sie zu zeichnen oder ihnen persönliche Fragen zu stellen, setzten sie ihre Wanderung durch die Welt fort. Sie ergänzten sich aufs glücklichste bei ihren wissenschaftlichen Unternehmungen, litten beide an derselben unstillbaren Neugier und sahen den Gefahren bei ihren verwegenen Vorhaben mit derselben olympischen Verachtung entgegen.
Daniel Belalcázar setzte mir den Floh ins Ohr, eine Lehranstalt zu gründen, empfand er es doch als Hohn, daß wir uns in Chile für eine zivilisierte Kolonie hielten, man die Lesekundigen jedoch an einer Hand abzählen konnte. Ich sprach mit González de Marmolejo darüber, und zusammen kämpften wir über Jahre auf ziemlich verlorenem Posten um die Gründung von Schulen. Diese Barbaren! Hier fürchtet man, wer lesen lernt, gewöhnt sich womöglich das Denken an, und dann ist es bis zur Auflehnung gegen die Krone nur noch ein Katzensprung.
Heute ist wirklich kein guter Tag für mich. Anstatt weiter an meiner Lebensgeschichte zu schreiben, komme ich vom Hundertsten ins Tausendste. Mit jedem Tag fällt es mir schwerer, mich an die Geschehnisse zu halten, immer werde ich abgelenkt; in diesem Haus geht es zu wie in einem Taubenschlag, auch wenn Du behauptest, es sei das stillste Gemäuer in ganz Santiago.
»Das bildet Ihr Euch ein, Mutter. Hier geht es nicht zu wie im Taubenschlag, eher wie auf dem Friedhof«, hast Du gestern vor dem Zubettgehen gesagt.
»Eben, Isabel, das meine ich ja.«
Du bist wie Dein Vater, praktisch und vernünftig, deshalb nimmst Du das Getümmel nicht wahr, das sich ungefragt in meinen Zimmern breit macht. Mit dem Alter wird der Schleier fadenscheinig, der die eine Welt von der anderen trennt, und ich beginne, das Unsichtbare zu sehen. Wenn ich tot bin, wirst Du Dir diese vier Wände gewiß gründlich vornehmen, meine alten Möbel verschenken und die Mauern frisch weißen, aber bitte denk daran, daß Du mir versprochen hast, diese Seiten zu verwahren, die für Dich und auch für Deine Kindeskinder bestimmt sind. Du kannst sie von den Barmherzigen Brüdern oder den Dominikanern aufbewahren lassen, wenn Dir das lieber ist, bei denen habe ich etwas gut. Denk auch an das Geld, das ich beiseite gelegt habe, damit Marina Ortiz de Gaete bis an ihr Lebensende versorgt ist und die Armen etwas haben, die es gewohnt sind, an dieser Tür jeden Tag einen Teller Essen zu bekommen. Das habe ich Dir wohl alles schon gesagt, entschuldige bitte. Ich weiß, Du wirst Dich darum kümmern, Isabel, denn auch darin gleichst Du Deinem Vater: Du bist rechtschaffen, und auf Dein Wort ist Verlaß.
Mit der Verbindung nach Peru änderte sich unser Leben von Grund auf, kamen Vorräte und neue Siedler ins Land. Dank der Galeonen, die die Küste befuhren, konnten wir alle Güter beziehen, die für unser Gedeihen notwendig waren. Pedro kaufte Eisen, Arkebusen, Pulver und Kanonen, ich bestellte Saatgut aus Spanien und Obstbaumschößlinge, die hier in Chile prächtig wachsen, außerdem Schafe, Ziegen und Rinder. Versehentlich wurden mir acht Kühe und zwölf Stiere geliefert – einer hätte es auch getan. Aguirre wollte das Mißverständnis nutzen und die ersteStierkampfarena des Landes eröffnen, aber die Tiere wußten nach der langen Seereise nicht mehr, wo oben und unten war, und machten keine Anstalten, jemanden auf die Hörner zu nehmen. Wir konnten sie dennoch gebrauchen. Aus zehn Stieren wurden zehn Ochsen, die wir vor den Pflug und vor Fuhrwerke spannten. Die restlichen beiden gaben sich willig mit den Kühen ab, und heute grasen auf den Weiden von Copiapó bis ins Tal des Mapocho große Viehherden. Eine Mühle wurde gebaut und mehrere Gemeindeöfen, es gab einen Steinbruch und Sägemühlen, außerdem Lehmgruben für Dachpfannen und Mauerziegel und verschiedene Werkstätten, eine Gerberei, eine Töpferei, dazu Korbmacher und Segelmacher, Geschirrmacher und Tischler. Zwei Schneider nahmen die Arbeit auf, vier Schreiber, ein Arzt, der leider nicht viel taugte, und ein hervorragender Veterinär. Die Stadt wuchs so rasch, daß wegen der vielen Bauarbeiten das Tal bald vollends gerodet sein würde. Ich will nicht
Weitere Kostenlose Bücher