Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
das Habit des heiligen Franziskus übergestreift hatte. Mehrmals ist er für kürzere Zeit Gouverneur Chiles gewesen und wird als einer der kühnsten und tatkräftigsten Soldaten des Landes in Erinnerung bleiben, aber geschätzt wurde er von niemandem, denn er war ein Geizkragen, und Geiz ist den freigebigen Spaniern von jeher zuwider gewesen.
Wir sollten uns nicht mit Einzelheiten aufhalten, Tochter, sonst kommen wir womöglich nicht mehr zum Ende, und niemand möchte Hunderte Heftseiten lesen und dann feststellen, daß die Geschichte keinen rechten Schluß besitzt. Wie wird diese Geschichte schließen? Gewiß mit meinem Tod, denn bis zu meinem letzten Atemzug werden mir Erinnerungen bleiben, um Seiten zu füllen; aus einem Leben wie dem meinen gibt es viel zu berichten. Ich hätte früher mit den Aufzeichnungen beginnen sollen, aber ich hatte zuviel zu tun; eine Stadt aufzubauen und für ihr Wohlergehen zu sorgen macht einige Arbeit. Ins Schreiben flüchtete ich mich erst, als Rodrigo starb und meine Traurigkeit mir die Lust nahm, mich all dem anderen zu widmen, das mir zuvor dringlich erschienen war. Ohne ihn mache ich nachts kaum ein Auge zu, und Schlaflosigkeit ist dem Schreiben sehr zuträglich. Ich frage mich, wo mein Mann sein mag, ob er irgendwo auf mich wartet oder vielleicht sogar hier in meinem Haus ist, im Dunkel über mich wacht und unaufdringlich seine schützende Hand über mich hält, wie er es ein Leben lang getan hat. Wie wird es sein, zu sterben? Was mag auf der anderen Seite warten? Einzig Nacht undSchweigen? Ich stelle mir vor, daß ich im Augenblick des Todes wie ein Pfeil dem dunklen Firmament entgegenschnelle, einer grenzenlosen Weite, in der ich meine Lieben einen nach dem anderen suchen muß. Ist es nicht sonderbar, daß ich sogar jetzt, im Angesicht des Todes, noch neue Pläne spinne und eitle Wünsche hege? Wenn das kein Hochmut ist! Um des Ruhmes willen, und weil man sich meiner erinnern soll, wie Pedro sagte. Ich fürchte, wir kommen in diesem Leben nicht vom Fleck, schon gar nicht, wenn wir uns eilen; wir nähern uns nur, Schritt für Schritt, dem Tod. Also, auf ! Erzählen wir weiter, bis meine Tage um sind, denn an Berichtenswertem ist kein Mangel.
Nach meiner Hochzeit mit Rodrigo entschied ich, Pedro wenigstens zu Anfang aus dem Weg zu gehen, bis diese Erbitterung nachlassen würde, die an die Stelle meiner Liebe für ihn getreten war. Ich haßte ihn, wie ich ihn zuvor geliebt hatte; ich wünschte, ihn zu verletzen, wie ich ihn zuvor hatte beschützen wollen. Seine unangenehmen Eigenschaften wuchsen in meinen Augen ins Unermeßliche, nun kam er mir nicht mehr edel vor, sondern eingebildet und ehrversessen; war er früher scharfsinnig, bestimmt und stark gewesen, so war er jetzt hinterlistig, grausam und fett. Ich schämte mich für meinen Groll auf diesen Mann, den ich zehn Jahre lang geliebt hatte, und schüttete nur Catalina mein Herz aus. Vor Rodrigo verbarg ich meine bösen Empfindungen, und er war zu anständig, um diese Last auf meiner Seele zu erraten. Sollte er sich gewundert haben, warum ich Santiago mied, seit Pedro de Valdivia in der Stadt war, so sagte er das nie. Ich widmete mich unseren Gütern im Umland und dehnte meinen Aufenthalt dort immer weiter aus, weil ich mich angeblich um die Felder, die Rosenzucht, die Pferde und Maultiere kümmern mußte, obwohl ich mich im Grunde langweilte und die Arbeit im Hospital vermißte. Rodrigo kam jede Woche aus der Stadt, zermalmte sichdas Kreuz in schnellen Ritten, um mich und seine Tochter zu sehen. Die frische Luft, die schwere Arbeit, Deine Gesellschaft, Isabel, und ein Wurf junger Hunde, Nachkommen meines alten Baltasar, munterten mich auf. Damals betete ich viel, nahm unsere Señora del Socorro mit in den Garten, setzte mich mit ihr unter einen Baum und erzählte ihr von meinem Kummer. Sie ließ mich erkennen, daß das Herz wie ein Behältnis ist: Füllt man es mit Gerümpel, bleibt kein Raum für anderes. Ich würde Rodrigo und seine Tochter nicht lieben können, solange mein Herz voller Bitterkeit war, warnte sie mich. Catalina wiederum meinte, vom Hader werde die Haut gelb, und man rieche schlecht, deshalb brühte sie mir reinigende Tees auf. Durch Gebete und Tees genas ich in zwei Monaten von meinem Groll gegen Pedro. Eines Nachts träumte ich, mir seien die Fänge eines Kondors gewachsen, ich stürzte mich auf Pedro und kratzte ihm die Augen aus. Es war ein köstlicher, sehr lebhafter Traum, und als ich erwachte,
Weitere Kostenlose Bücher