Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
schließlich hatten sie keinen Lehrer wie Juan de Málaga. Obendrein verheddern sich die meisten in Schuldgefühlen, denk nur an das berüchtigte Nachthemd von Marina Ortiz de Gaete. So treibt die Unkenntnis schlimme Blüten und macht oft auch die lautersten Liebesabsichten zunichte.
Ich war noch nicht lange zurück in Santiago und hatte gerade erst begonnen, die Liebe zu Rodrigo und unsere Freude aneinander zu nähren, als die Stadt eines Morgens vom durchdringenden Hornstoß eines Wachsoldatenaufgeschreckt wurde. An dem Pfahl, auf dem über die Jahre so viele Köpfe von Menschen aufgespießt worden waren, hatte man den abgeschlagenen Kopf eines Pferdes gefunden. Schnell war klar, daß es sich um den Kopf von Sultán handelte, dem Lieblingsroß des Gouverneurs. Der Fund rief Entsetzen hervor. Nachts war über Santiago eine Ausgangssperre verhängt, um Diebstähle zu verhindern. Kein Indio, Neger oder Mischling durfte in der Dunkelheit draußen unterwegs sein, sonst drohten ihm am Pranger auf dem Platz hundert Peitschenhiebe auf die blanke Haut, dieselbe Strafe wie für unangemeldete Feste, für Trunkenheit oder das Spielen um Geld, alles Ausschweifungen, die der Herrschaft vorbehalten waren. Keiner von unserem Gesinde hätte diese Untat also begehen können, doch daß ein Spanier der Urheber sein sollte, schien unvorstellbar. Valdivia wies Juan Gómez an, nötigenfalls Folter anzuwenden, um den Täter zu finden.
Wenngleich ich von meinem Haß auf Pedro genesen war, zog ich es doch vor, ihn so wenig wie möglich zu sehen. Unsere Wege kreuzten sich allerdings häufig, denn das Zentrum von Santiago ist klein, und wir wohnten nah beieinander, nahmen allerdings nicht an denselben gesellschaftlichen Ereignissen teil. Unsere Freunde vermieden es, uns zusammen einzuladen. Begegneten wir uns auf der Straße oder in der Kirche, nickten wir einander kaum merklich zu, das war alles. Sein Umgang mit Rodrigo hatte sich dagegen nicht verändert. Pedro schenkte Rodrigo weiterhin sein Vertrauen, und der beantwortete es mit Loyalität und Zuneigung. Wie Du Dir denken kannst, zerriß man sich über mich das Maul.
»Weshalb sind die Leute nur so engherzig und klatschsüchtig, Inés?« sagte Cecilia einmal zu mir.
»Es ärgert sie, daß ich nicht die Rolle der verlassenen Geliebten spiele, sondern glücklich verheiratet bin. Sieergötzen sich daran, starke Frauen wie dich und mich gedemütigt zu sehen. Man verzeiht uns nicht, daß uns gelingt, was so viele andere vergeblich versuchen.«
»Ich habe es nicht verdient, daß du mich mit dir vergleichst, Inés, ich bin nicht so kühn wie du«, lachte Cecilia.
»An Männern wird Kühnheit geschätzt, an uns dagegen mißbilligt. Kühne Frauen gefährden das Ungleichgewicht der Welt, das die Männer begünstigt, deshalb beeilen die sich, uns zu schikanieren und in den Staub zu treten. Aber wir sind eben wie Kakerlaken: Du trittst eine tot, und aus allen Ritzen kriechen neue.«
Über María de Encio weiß ich zu berichten, daß sie von keinem der angesehenen Stadtbürger empfangen wurde, obwohl sie Spanierin und die Mätresse des Gouverneurs war. Sie wurde behandelt wie seine Haushälterin. Über die andere, Juana Jiménez, lästerte man hinter ihrem Rücken, ihre Dienstherrin habe sie ausgebildet, damit sie im Bett die Bockstänze vollführte, die ihr selbst auf den Magen schlugen. Falls da etwas dran sein sollte, frage ich mich, auf welche Abwege die beiden Pedro geführt haben, der immer ein Mann von gesunder und schnörkelloser Sinnlichkeit gewesen ist und außer damals, nach dem Vorfall mit dem armen kleinen Escobar, als er seine Schuld damit betäubte, daß er mich wie eine Dirne erniedrigte, nie etwas übrig hatte für die Kapricen aus den französischen Büchlein, die Francisco de Aguirre herumgehen ließ. Ach, übrigens sollte auf diesen Seiten noch erwähnt werden, daß Escobar nie in Peru ankam, aber auch nicht, wie wir alle befürchtet hatten, in der Wüste sein Leben ließ. Viele Jahre später erfuhr ich, daß er von dem jungen Yanacona, der ihn begleitet hatte, auf verschlungenen Pfaden in dessen Heimatdorf hoch oben im Gebirge geführt worden war, wo die beiden heute noch leben. Ehe er in die Verbannung ging, hatte Escobar unserem Kaplan González de Marmolejo versprochen, Priester zu werden, sollte er je lebend Peru erreichen, da es gewißein Fingerzeig Gottes wäre, würde er erst vor dem Galgen und dann aus den Schrecken der Wüste errettet. Er hielt sein Versprechen
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