Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
seins. Im ersten Moment fürchtete ich, mich geirrt zu haben, denn Sebastián Romero zeigte keine Regung, als hätte er den Stich gar nicht gespürt, doch dann drang ein animalischer Schrei aus seiner Kehle, er kippte zur Seite und stürzte zu Boden zwischen die gestapelten Reisetruhen. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, schaffte es aber nur auf die Knie, aus seinem Blick sprach Entgeisterung, gleich darauf Entsetzen. Mit beiden Händen tastete er an seinem Rücken im verzweifelten Bemühen, den Dolch herauszuziehen. Was ich bei meiner Arbeit im Hospital von den Nonnen über den menschlichen Körper gelernt hatte, erwies mir einen unschätzbaren Dienst, denn dieser eine Stich war tödlich. Der Mann rang weiter mit dem Dolch, und ich saß da, auf dem Bett, beobachtete ihn, so entsetzt wie er selbst, aber entschlossen, mich auf ihn zu werfen und ihn mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen, sollte er noch einmal schreien. Er schrie nicht, zwischen hellroten Bläschen drang ein grausiges Pfeifen durch seine zusammengepreßten Lippen. Nach einer Weile, die mir endlos schien, krampfte er wie ein Besessener, spuckte Blut und sackte gleich darauf in sich zusammen. Ich wartete lange, bis mein Atem wieder gleichmäßig ging und ich denken konnte; dann versicherte ich mich, daß er sich nie mehr regen würde. Im schwachen Schein der einzigen Kerze konnte ich sehen, wie das Blut im Lehmboden versickerte.
Den Rest der Nacht verbrachte ich neben der Leiche von Sebastián Romero, flehte erst zur Jungfrau, sie möge mir diese schwere Missetat vergeben, und dachte dannfieberhaft nach, wie ich mich vor den Folgen würde retten können. Ich kannte die Gesetze dieser Stadt nicht, aber wenn sie waren wie in Plasencia, würde ich in den Tiefen eines Kerkers schmoren, bis es mir gelänge, zu beweisen, daß ich in Notwehr gehandelt hatte, und das war schier aussichtslos, weil in den Augen der Richter immer die Frau schuld ist. Ich machte mir nichts vor: Uns klagt man der Laster und Sünden der Männer an. Was würde die Justiz einer jungen Frau, die allein war, unterstellen? Sie hätte einen ahnungslosen Matrosen zu sich gelockt und ihn dann hinterrücks ermordet, um ihn auszurauben. Als die Sonne aufging, warf ich eine Decke über den Toten, kleidete mich an und ging zum Hafen, wo Manuel Martíns Schiff noch vor Anker lag. Der Kapitän hörte sich meine Geschichte an, ohne mich zu unterbrechen, kaute auf seinem Tabak und kratzte sich am Kopf.
»Sieht aus, als müßte ich mich dieser Sache annehmen, Doña Inés«, sagte er, als ich geendet hatte.
Wenig später betrat er mit einem Matrosen, dem er vertrauen konnte, meine bescheidene Bleibe, und zu zweit schleppten sie Romero in einem Stück Segeltuch davon. Ich erfuhr nie, was sie mit ihm taten; ich stelle mir vor, daß sie ihn mit einem Stein beschwert ins Meer warfen, wo die Fische nichts von ihm übrigließen. Manuel Martín riet mir, Cartagena bald zu verlassen, weil sich ein solches Geschehen nicht auf Dauer geheimhalten ließ, deshalb verabschiedete ich mich wenige Tage später von meiner Nichte und ihrem Mann und brach mit zwei weiteren Reisenden in die Stadt Panama auf. Etliche Indios schleppten unser Gepäck und führten uns über Berge, durch dichte Wälder und über Flüsse.
Der Isthmus von Panama ist ein schmaler Streifen Land, der unseren europäischen Ozean vom Südmeer – oder Pazifik – trennt. Er ist keine zwanzig Meilen breit, aber die Berge sind schroff, die Wälder kaum zu durchdringen, dieGewässer ungesund, die Sümpfe faulig, und die Luft ist vergiftet von Fieber und Pestilenz. Feindlich gesinnte Indios gibt es dort und giftige Echsen und Schlangen an Land und in den Flüssen, aber die Landschaft ist überwältigend, und man sieht Vögel wie im Märchen. Unseren Weg begleitete das Lärmen der Affen, neugieriger und dreister Tiere, die uns ansprangen, um unsere Vorräte zu stehlen. Tiefgrün war der Wald, düster, bedrohlich. Meine Reisegefährten hielten ihre Waffen in Händen und ließen die Indios nicht aus den Augen, weil denen nicht zu trauen war. Pater Gregorio hatte mich vor ihnen gewarnt und auch vor den Kaimanen, die ihre Beute auf den Grund der Flüsse zerren, vor den roten Ameisen, die in jede Körperöffnung kriechen und einen im Nu von innen verschlingen, und vor Fröschen, deren giftiger Speichel einem das Augenlicht für immer raubt. Ich verscheuchte jeden Gedanken daran, sonst hätte ich vor Angst keinen Schritt tun können. Besser,
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