Infam
Mühsam stand ich auf, zog meine Jeans an und ging zur Tür. Doch als ich durch die Glasscheibe in der Tür spähte, sah ich zu meiner Überraschung Billy vor mir stehen. Zum ersten Mal fragte ich mich bei seinem Anblick unwillkürlich, wo meine Browning Baby versteckt war – in der Schublade des Nachttischs. Ich öffnete die Tür.
»Ich wollte nicht bis morgen früh damit warten«, sagte er kleinlaut.
»Es ist bereits morgen früh«, gab ich augenzwinkernd zurück.
»Das stimmt wohl.«
Ich erwog, ihn ins Haus zu bitten, entschied mich jedoch dagegen. »Was ist los?«
Er sah mich an. »Ich hab die Katze nicht getötet.«
»Okay …«
»Aber ich gehe trotzdem in diesen Riggs-Laden.«
Ich nickte. Ein Schritt nach dem anderen, dachte ich. Ein Teil von mir war froh darüber, dass Billys Scham, ein hilfloses Tier getötet zu haben, wenigstens groß genug war, um es zu leugnen. Wenn er sich auf die Therapie einließ, konnte er den Schritt, die Tat einzugestehen, später immer noch machen. »Was hat dich umgestimmt?«
»Garret.«
»Garret?«
»Wir haben zum ersten Mal miteinander geredet – richtig geredet«, sagte Billy. »Über die Adoption und das Leben mit Darwin und die Prügel und all das. Darüber, dass es mich am schwersten getroffen hat.« Er zuckte mit den Schultern. »Garret hat das Gefühl, er hätte mich im Stich gelassen.«
Vielleicht war eine weitere Krise notwendig gewesen, um die nächste Phase der Heilung für die Bishops einzuläuten – die dieses Mal in einer Überbrückung der Kluft zwischen Garret und Billy bestand. »Das freut mich für dich«, sagte ich. »Für euch beide. Es wäre wunderbar, wenn ihr Freunde werden würdet.«
»Ich habe ihm von Ihrem Vorschlag erzählt, und er hat gesagt, ich soll es durchziehen. Er hat mich darum gebeten, es zu tun. Für ihn.«
Es wäre mir lieber gewesen, wenn Billy zur Gänze akzeptiert hätte, dass er Hilfe
brauchte
, doch ich würde Garrets Geschenk keinesfalls ablehnen. »Ich werde alles in die Wege leiten«, versprach ich.
»Gut«, sagte er. Er wandte den Blick ab, dann sah er mich beinahe schüchtern wieder an.
»Was?«
»Würden Sie mich hinbringen? Zum Riggs? Sie kennen den Arzt, der es leitet. Wenn Sie irgendwo in der Nähe bleiben würden, dann würde er Ihnen vielleicht erlauben, dass Sie mich während der ersten ein, zwei Wochen besuchen.«
»Klar«, sagte ich.
»Das war auch Garrets Idee. Aber wenn es zu viel verlangt ist oder …«
»Es ist eine blendende Idee«, versicherte ich ihm.
Montag, 22. Juli 2002
Um 9 Uhr 30 hatte Ed Shapiro bereits Billys Einweisung ins Riggs für den 25. Juli arrangiert und dabei die übliche viermonatige Warteliste auf vier Tage verkürzt.
Garret und Billy überraschten uns damit, dass sie das Frühstück für Julia, Candace und mich zubereiteten. Sie machten Waffeln und schnippelten Obst wie die Weltmeister. Angesichts der guten Stimmung im Haus musste ich mich zwingen, mir Billys Zustand und die harte Arbeit ins Gedächtnis zu rufen, die vor uns lag, wenn wir ihm helfen wollten.
Wir hatten vor, ein Segelboot zu mieten und wie eine Familie einen gemütlichen Tag zusammen zu verbringen. Ich ging kurz im Gästehaus vorbei, um ein paar Sachen zu holen. In dem Strohkorb, der neben der Tür hing, lag ein großer brauner Umschlag. Als ich ihn herausnahm, sah ich, dass er den Poststempel vom 18. Juli trug und von Dr. Laura Mossberg stammte. Ich nahm an, dass sie mir endlich Billys alte Krankenblätter geschickt hatte, um die ich sie gebeten hatte.
Ich öffnete den Umschlag, während ich das Gästehaus betrat, dann setzte ich mich auf die Couch und las den Begleitbrief:
Dr. Clevenger
hiermit übersende ich Ihnen Unterlagen einer urologischen Behandlung von Mr. Darwin Bishop, die ich selbst erst heute erhalten habe. Unter normalen Umständen wäre es mir nicht gestattet, Ihnen Einblick in diese Akte zu geben, doch im Vorfeld Ihres Besuchs in der Klinik haben Mr. und Mrs. Bishop unsere Standard-Einverständniserklärung unterschrieben, die die Freigabe aller Krankenunterlagen der Familie im Cornell Medical Center und der angegliederten Payne Whitney Clinic abdeckt. Möglicherweise sind die beigefügten Unterlagen hilfreich für Ihre Ermittlungen.
Leider habe ich noch keine früheren Behandlungsberichte über Billy Bishop von anderen Einrichtungen erhalten.
Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören.
Alles Gute,
Laura Mossberg
P. S. Außerdem habe ich eine Ausgabe von
Ich will nicht darüber
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