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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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sprechen
beigelegt, ein sehr gutes Buch über Männer und Trauma. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel (und nehmen sich vielleicht sogar die Zeit, es zu lesen).
    Ich schmunzelte. Da sollte noch einmal jemand sagen, dass Psychiater Patienten vorschnell aufgaben. Und dabei bezahlte ich sie noch nicht einmal. Ich begann, den Stapel ärztlicher Unterlagen durchzusehen, und stieß auf ein Formular mit der Überschrift »Präoperatives Gutachten«. Mein Puls pochte in meinen Schläfen, als ich den ersten Absatz las:
    Mr. Darwin Bishop, ein fünfzigjähriger, verheirateter Weißer, Vater von zwei Adoptivsöhnen, ist vorstellig geworden, um eine fakultative Vasektomie vornehmen zu lassen. Laut Aussage des Patienten ist seine Frau mit dem Eingriff einverstanden. Seine Entscheidung beruht auf dem lang gehegten philosophischen Standpunkt, dass »es nicht fair ist, Kinder in diese Welt zu setzen«. Mr. Bishop erklärt, dass sich diese Ansicht während seiner Erlebnisse in Vietnam herausgebildet hat, wobei er sich allerdings weigert, näher auf sie einzugehen. Er vertritt diese Überzeugung schon seit vielen Jahren und schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Ansicht ändert und sich wünscht, leibliche Kinder zu zeugen, als gleich null ein.
    Das Formular war von Dr. med. Paisley Marshall unterzeichnet und mit dem 15. April 1999 datiert, also gute zwei Jahre vor der Zeugung von Brooke und Tess Bishop.
    Meine Gedanken begannen sich zu überschlagen. Darwin Bishop war unfruchtbar. Brooke und Tess Bishop waren nicht seine leiblichen Töchter. Julia hatte eine Affäre gehabt und war schwanger geworden.
    Ich blätterte Seite um Seite um, halb in der Erwartung, einen Hinweis auf Bishops Sinneswandel im Hinblick auf den Eingriff zu finden, doch stattdessen stieß ich auf ein chirurgisches Protokoll vom 12. Mai 1999:
Der Patient bekräftigt seine Entscheidung für eine operativ induzierte Zeugungsunfähigkeit. Sämtliche Risiken des Eingriffs wurden erklärt, einschließlich Infektion, allergische Reaktion auf Medikamente, Beeinträchtigungen beim sexuellen Akt, Beeinträchtigungen bei der Ausscheidung. Der Patient akzeptiert alle Risiken.
    Dem Patienten wurden das Lokalanästhetikum Marcain gegen Schmerzen und Versed zur Ruhigstellung verabreicht.
    Vitalfunktion bei Beginn des Eingriffs gut.
    Es wurde der gesamte Samenleiter entfernt. Der Eingriff verlief ohne Komplikationen.
    Keine wesentliche Nachblutung.
    Auf einen Schlag erschien mir Julias Erklärung für den Brief, den Claire Buckley gefunden hatte, noch unglaubwürdiger. Ihre Therapeutin Marion Eisenstadt war offenkundig nicht die beabsichtigte Empfängerin gewesen. Julia hatte den Brief an ihren Liebhaber geschrieben, den Vater ihrer Kinder.
    Die Ermittlungen zum Mord an Brooke waren nicht nur dahingehend gescheitert, Julias Geliebten ausfindig zu machen, sondern wir hatten versäumt, den leiblichen Vater der Zwillinge zu vernehmen – einen potenziellen Verdächtigen.
    Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, North Anderson anzurufen, doch er war für zehn Tage nach Paris geflogen, um dort einen offenbar mehr als verdienten Urlaub mit Tina zu verbringen. Abgesehen davon war ich nicht sicher, ob ich seine Hilfe überhaupt brauchte. Ich hatte nicht den Hauch eines Beweises, noch nicht einmal einen begründeten Verdacht, dass Darwin Bishop fälschlicherweise des Mordes an Brooke angeklagt worden war. Meine Zweifel drehten sich um Julia; sie hatte mich angelogen und mich im Dunkeln tappen lassen. Ihr Charakter stand wieder einmal in Frage.
    Ich hatte eine Aufgabe zu erledigen, die ich dieses Mal jedoch allein auf mich nehmen musste. Ich musste herausfinden, in wen genau ich mich verliebt hatte.
    Meine Erinnerung an den Rest jenes Tages ist wie eine Reihe von Schnappschüssen: das sonnenüberflutete Panorama des Vineyard-Sunds, Julias surreale Schönheit, Candaces stille Anmut, Billy und Garret, die sich zusammen um die Segel und das Ruder kümmerten, eine starke Brise, die ihnen das Haar aus der Stirn blies und sie jünger, kräftiger und gut aussehender wirken ließ, als ich sie je zuvor gesehen hatte. Die Szenen hätten perfekte Postkarten abgegeben, was in mir die Frage hätte wecken müssen, ob die Heiterkeit echt oder nur aufgesetzt war. Doch ich war wie mit Scheuklappen auf die große Lüge konzentriert – Julias Lüge. Ich betrachtete sie im Geiste von allen Seiten, auf der Suche nach einem Blickwinkel, der mir erlauben würde, sie wegzuerklären, sie ohne

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