Infam
ganze Grund zu sein – eigentlich noch nicht einmal der halbe. Beim Gedanken an unsere Unterhaltung vor der Bishop-Villa wurde mir plötzlich bewusst, dass ich in diesen wenigen Minuten zu der Überzeugung gekommen war, dass sie litt und möglicherweise Hilfe brauchte. Und eine Frau in Not ist die ultimative Triebfeder für mich.
Meine Gedanken wanderten zu meiner Mutter, einer schwachen Frau, die die unschöne Gewohnheit hatte, sich im Badezimmer einzuschließen, wenn mein Vater betrunken war und jemanden suchte, dem er wehtun konnte – zweifelsohne um sich nicht dem Schmerz stellen zu müssen, der in seinem Innern tobte. Außer ihr war nur noch ich in der Wohnung, die im obersten Stockwerk eines heruntergekommenen Mietshauses im ebenso heruntergekommenen Lynn, Massachusetts, lag, und mein Vater ließ seine Wut unausweichlich an mir aus, bis er erschöpft umfiel. Und obgleich meine Mutter weder ein liebevoller noch tapferer Mensch war noch genügend Verantwortung zeigte, mit mir dem Haus und den Misshandlungen zu entfliehen, war sie meine Mutter, und ich liebte sie. Und deshalb fühlte ich mich immer ein wenig wie ein Held, wenn die Schläge auf mich herunterprasselten. Und all den Therapiestunden zum Trotz, die ich auf Dr. James’ Couch zugebracht hatte, um die Knoten meiner Psyche zu entwirren, war ich nie in der Lage gewesen, mich aus dieser Zwickmühle aus Stolz und Schmerz zu befreien. Ich war noch immer glücklicher damit, selbst zu leiden, statt eine Frau leiden zu sehen.
Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf den Computerbildschirm und das Bild von Darwin Bishop, wie er in Handschellen abgeführt wurde. Ich wollte einen Artikel finden, in dem stand, welche Strafe er für sein Verbrechen erhalten hatte. Schließlich entdeckte ich einen Verweis mit der Überschrift »Bishop vor Gericht«, klickte die Seite an und erhielt einen hübschen Eindruck davon, wie Geld vor den Schranken des Gerichts spricht – oder hinter den Kulissen flüstert. Der Eintrag führte zu einem Artikel in der
New York Post,
der, begraben als vorletzte Meldung in der »Lokalnachrichten«-Rubrik, sechs Monate nach Bishops Verhaftung erschienen war. Laut diesem Artikel waren sämtliche Anklagen gegen Bishop fallen gelassen worden. Er bekam nicht einen einzigen Tag Bewährung aufgebrummt, von einer Gefängnisstrafe ganz zu schweigen.
Bishop vor den Schranken des Gerichts
Der Gerichtshof von Manhattan hat die Anklagen wegen Trunkenheit am Steuer, Gefährdung des Straßenverkehrs und Widerstand gegen die Festnahme, die gegen Darwin Bishop, 45, wohnhaft 32 East 49th Street, erhoben worden sind, fallen gelassen. Der Richter begründete die Entscheidung mit Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Alkoholtests, der am Unfallort vorgenommen worden war, dem Fehlen glaubhafter Augenzeugen und der Tatsache, dass die für die Festnahme verantwortlichen Polizisten, Schlüsselzeugen des Prozesses, nicht verfügbar waren. Verteidiger F. Lee Bailey erklärte: »Es hat sich in diesem Fall niemand als Zeuge gemeldet, weil jeder weiß, dass Mr. Bishop schlicht und einfach einen Unfall hatte. Dann sind die Dinge außer Kontrolle geraten, hauptsächlich als Folge der Überreaktion von Seiten der Polizei.« Bailey sagte, er habe noch nicht entschieden, ob er eine Zivilklage gegen die Stadt oder die beteiligten Polizisten anstrengen würde.
Ich startete eine Internetsuche nach Informationen über Bishops frühere Verurteilung wegen tätlichen Angriffs im Jahr 1981, konnte aber keine entsprechenden Einträge finden.
Ich sah auf die Uhr – 0 Uhr 54. Das bedeutete, dass mir nicht viel Zeit zum Schlafen blieb. Ich schaltete den Computer ab und ging zu Bett. Doch obwohl ich todmüde war, kreisten die Gedanken unaufhaltsam weiter in meinem Kopf, denn langsam keimte in mir der Verdacht, dass Darwin Bishop mit mir spielte. Ich wusste nur nicht genau wie – oder warum. Und während es mich mit einer seltsamen Art des Stolzes erfüllen kann, eine Frau zu beschützen, ist es doch nichts im Vergleich zu der Energie, die mich durchströmt, wenn ein Mann versucht, mich auszunutzen, einzuschüchtern oder aufs Kreuz zu legen. Vielleicht hängt dieser Auftrieb an Entschlossenheit mit dem Adrenalinschub zusammen, der jedes Mal durch meinen Körper strömte, wenn mein Vater mit irgendeinem idiotischen Grund aufwartete, um mir eins mit seinem Gürtel überzuziehen. Vielleicht ist meine Unfähigkeit, mich aus Ärger herauszuhalten und vor Aggression
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