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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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entgegnete sie. »Er war kein gemeiner oder berechnender Mann. Er war … liebevoll.«
    »Ich bezweifle, dass er Ihnen mit Absicht schaden wollte«, sagte ich. »Doch er war emotional leer und suchte anderweitig nach Erfüllung – und sei es durch die romantischen Fantasien seiner Enkelin. Sie haben mitgespielt, weil kleine Mädchen von acht, neun oder zehn Jahren das normalerweise tun.« Sie ließ diese Worte einen Moment lang auf sich einwirken.
    »Und deshalb fühle ich mich so schuldig?«
    »Ja«, antwortete ich. »Diese Schuldgefühle mögen eine Zeit lang als Schutz gedient haben. Als Sie klein waren, haben sie Sie vielleicht davor bewahrt, sich tiefer in eine Beziehung zu begeben, die schlecht für Sie war.« Ich beugte mich näher an das Bett. »Jetzt hat dieses Gefühl – dieses Schuldgefühl – ausgedient. Es ist an der Zeit, sich davon zu trennen.«
    Sie blickte auf ihr Bein hinunter. »Was soll ich tun, wenn diese Bilder wieder auftauchen und die Gefühle zurückkommen? Gibt es irgendein Medikament, das ich einnehmen kann?«
    »Meine Einstellung in dieser Hinsicht unterscheidet sich wahrscheinlich von dem, was Ihnen andere Psychiater empfehlen würden«, erwiderte ich.
    »Warum? Was würden Sie mir empfehlen?«
    »Ich denke, die meisten würden Ihnen raten, einen Angsthemmer wie zum Beispiel Klonopin oder ein Kombinationspräparat wie Zoloft zu nehmen, das gegen Angstzustände und Depressionen wirkt. Oder beide. Und im Grunde spricht nichts dagegen. Ihre Symptome würden schwächer werden oder sogar ganz verschwinden, zumindest für eine Weile.«
    »Und was würden Sie empfehlen?«, fragte sie.
    »Meine Empfehlung lautet, lassen Sie diese Bilder zu, laufen Sie nicht vor ihnen davon. Suchen Sie sich einen Psychiater, der Ihnen dabei hilft, diese Szenen zu ergründen, die sich in Ihrem Kopf abspielen. Ich schätze, Ihre Schuldgefühle verwandeln sich sehr schnell in Wut. Und das ist eine Emotion, die bedeutend leichter zu handhaben ist.«
    »Kann ich nicht weiter mit Ihnen zusammen daran arbeiten?«, fragte sie.
    Lilly versuchte zweifellos, jede männliche Autoritätsfigur, der sie begegnete, für sich zu gewinnen. Ihren Großvater. Ihre Ärzte. Warum also nicht auch einen Psychiater? Ihr Fall faszinierte mich, doch ich hatte die Gelegenheit, zu beweisen, dass ich bereit war zu tun, was für sie das Richtige war, nicht das, was mir die größte Befriedigung verschaffen würde. Zu sehen, dass ich im Gegensatz zu ihrem Großvater fähig war, diese Grenze zu ziehen, könnte der erste zaghafte Schritt auf ihrem langen Weg zur Genesung sein. »Ich würde jemanden empfehlen, der älter als ich ist«, sagte ich.
    Sie wandte den Blick ab. »Ich weiß nicht, ob ich mich jemand anderem öffnen kann.«
    »Es ist jemand, vor dem ich den größten Respekt habe«, sagte ich.
    »Sie haben gesagt, Sie würden mir helfen, diese Sache durchzustehen.«
    Unter normalen Umständen hätte ich nicht preisgegeben, was ich ihr als Nächstes sagen würde, doch ich hatte das Gefühl, dass Lilly eine spezielle, dauerhafte Verbindung zu mir brauchte. Ich fürchtete, ohne diese Verbindung würde sie nicht weitermachen. »Ich werde Sie an einen Psychiater überweisen, der mir geholfen hat«, sagte ich. »An meinen eigenen Analytiker.«
    Sie starrte mich ungläubig an. »Ihren eigenen Analytiker? Sie würden erlauben, dass ich zu ihm gehe?«
    »Ja«, sagte ich. »Das würde ich.«
    »Wer ist er?«, fragte sie.
    »Dr. Theodore James. Er ist etwa im Alter Ihres Großvaters.«
    In der pädiatrischen Intensivstation herrschte Krisenstimmung, als ich durch die automatische Tür trat. Schwestern liefen umher und holten Infusionsbeutel, während John Karlstein Anweisungen aus Tess’ gläsernem Zimmer brüllte. Jemand hatte die Jalousien zugezogen. Julia stand in der hintersten Ecke des zentralen Stationsareals und weinte, während eine Schwester versuchte, sie zu trösten.
    »Frank!«, rief Julia, als sich unsere Blicke trafen, und kam auf mich zugelaufen. Ich umarmte sie, und sie schluchzte so heftig, dass sie kaum sprechen konnte. »Sie atmet – nicht – mehr. Tess … O Gott, bitte.«
    »Legen Sie eine Tocainid-Infusion«, befahl Karlstein. Einer der Monitore im Schwesternzimmer gab plötzlich einen schrillen Alarmton von sich. Ich schaute hinüber und sah, dass Tess’ EKG-Monitor eine durchgehende Linie zeigte. »Warten Sie mit dem Tropf! Wir müssen sie noch mal defibrillieren!«, brüllte Karlstein. »Alle zurücktreten!«
    Julia

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