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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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war. Denn der Drang, eine unglückliche Frau – eine Ehefrau und Mutter – zu retten, die im Gegenzug mich retten würde, war nahezu überwältigend. Es war ein Traum, den ich vierzig Jahre lang in meinem Unterbewusstsein gehegt hatte. Und ich konnte mir nur mit größter Mühe ins Gedächtnis rufen, dass Julia ebenso Zugriff auf Tess – und das Nortriptylin – gehabt hatte wie Darwin. »Ich verspreche dir, dass ich dich beschützen werde«, sagte ich und ließ damit die Tür für jegliche Möglichkeit offen.
    Anschließend rief ich North Anderson an und berichtete ihm von Julias Verdacht. Er sagte, er würde einen Detective von der Bostoner Polizei vorbeischicken, um ihre Aussage aufzunehmen. »Ich schätze, du solltest wissen, dass ich an die Seitenlinie abgeschoben werde«, erklärte er. »Man sollte immer vorsichtig sein bei den Dingen, die man sich herbeiwünscht. Der Bundesstaat setzt alle Hebel in Bewegung, um Billy zu finden, außer den Mitteln wurde mir ein Captain der State Police namens Brian O’Donnell an die Seite gestellt. Er ist scharf darauf, sich die ganze Sache unter den Nagel zu reißen.«
    »Was für ein Mensch ist er?«
    »Niemand, mit dem wir ein Bier …«, setzte Anderson an, ehe er abrupt verstummte.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Ich kann einen Scherz wegstecken, ohne gleich zur Flasche zu greifen.«
    »Sagen wir einfach, er geht genau nach Vorschrift vor. Sehr zielstrebig. Sehr ernst.« Er hielt inne. »Die richtige Diagnose lautet vermutlich Größenwahn, falls das überhaupt eine zulässige Diagnose ist.«
    »Heutzutage heißt das narzisstische Persönlichkeitsstörung«, erklärte ich.
    »Das beschreibt es recht treffend«, erwiderte Anderson. »Wann kommst du wieder her?«
    »Morgen Vormittag. Ich sehe bei Claire und Garret vorbei, wie du vorgeschlagen hast.«
    »Das würde ich so schnell wie möglich tun. O’Donnell ist dick mit dem Gouverneur befreundet. Er könnte uns alle beide ausbooten.«
    »Verstanden.«
    »Ruf mich an, sobald du auf der Insel bist.«
    Ich ging zu Lilly Cunningham, die zu meiner Überraschung aufrecht im Bett saß und den
Boston Herald
las. Ihr Bein war noch immer dick in Mull eingepackt, hing jedoch nicht mehr im Streckverband. Beim Näherkommen sah ich, dass der Bishop-Fall es zum Aufmacher der Abendausgabe gebracht hatte. Unter der reißerischen Schlagzeile »Zwillings-Horror« war ein Foto, das Julia und Darwin auf einem Ball zeigte. Auf einem kleineren Foto war das Bishop-Anwesen abgebildet. Ich versuchte, mich auf Lilly zu konzentrieren. »Es scheint Ihnen bedeutend besser zu gehen«, sagte ich.
    Sie senkte die Zeitung und lächelte mich an. »Sie haben endlich das richtige Antibiotikum gefunden«, erklärte sie.
    Ich sah zum Tropfständer, der bis auf einen einzelnen Plastikbeutel leer war. »Scheint so.«
    »Ich bin froh, dass Sie wiedergekommen sind«, sagte sie.
    »Ich hatte es Ihnen versprochen.« Ich setzte mich.
    »Ich habe an meinen Großvater gedacht.«
    Angesichts der Tatsache, wie leicht Lilly diese Worte über die Lippen kamen, stellte sich die Frage, ob das Antibiotikum allein die erfolgreiche Arbeit an ihrem Bein geleistet hatte oder ob sich ihr Verstand genügend geöffnet hatte, sodass einiges von dem Gift hatte abfließen können. »Was ist mit ihm?«
    »Diese Gedanken, die ich habe«, sagte sie, »ich glaube nicht, dass es Rückblenden sind – oder irgendeine Art von unterdrückter Erinnerung. Ich glaube nicht, dass Grandpa mich je angerührt hat.«
    »Gut«, ermutigte ich sie, »woher kommen diese Gedanken Ihrer Meinung nach dann?«
    »Aus meiner Fantasie«, antwortete sie. »Es sind Dinge, die ich mir ausgedacht habe – wie Tagträume, aber eben Albträume. Haben denn nicht alle kleinen Mädchen seltsame Gefühle, was ihre Väter betrifft?«
    Freud war überzeugt, dass alle kleinen Mädchen unbewusste sexuelle Gefühle für die Männer in ihren Familien hegen. Doch üblicherweise verlieren sich diese Gefühle mit dem Erreichen der Reife und erzeugen keine ernsthaften psychiatrischen Symptome. Ich fragte mich, warum Lillys Impulse ihre Kindheit und Pubertät ungemindert überstanden hatten. Warum waren sie ausgerechnet während ihrer Flitterwochen zutage getreten? Und warum waren sie so bedrohlich, dass sie ihnen nur etwas so Verzweifeltes und Destruktives entgegensetzen konnte, wie sich selbst Schmutz zu injizieren?
    »Weil sie sich nicht darauf verlassen konnte, dass ihnen sonst jemand etwas entgegensetzen

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