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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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er der Auftakt meines Unglücks war.«
    Horgan schien am Ende. Die letzten Sätze hatte er mehr ausgeatmet als gesprochen. Hauchend bat er um Wasser, Kurt Lukas brachte ihm ein Glas. Sie waren allein an dem Abend. Die anderen hatten einen Termin mit De Castro. Es ging um Gregorios Beisetzung, für die sich schon Journalisten aus aller Welt interessierten. Ein Vorschlag Pacquins stand zur Debatte – den Ermordeten in aller Stille auf dem Grundstück der Station zu begraben.
    Der kranke Priester trank in kleinen Schlucken; er hatte sich bei De Castro entschuldigen lassen. In den gleichförmigen Tagen und Nächten nach Gregorios Tod war in ihm der Wunsch wach geworden, die Geschichte seiner unglücklichen Liebe vor dem eigenen Ende wenigstens einmal zu erzählen. Als das Glas leer war, schloß er die Augen und hauchte wieder in die Dunkelheit. »Phyllis küßte mich mit Bedacht. Ich erinnere mich genau, wie sie ihr Gesicht in meine Armbeuge legte, um mir die Muskeln zu lecken. Erst nach der Lektüre einiger Romane aus dem Bücherberg, den McEllis der Station aufgedrängt hatte, wurde mir die seltene Verbindung in ihrem Charakter klar – Einfachheit und Perversion, bitte verstehen Sie mich richtig, Mister Kurt. Das Natürliche und das Ausgeklügelte. Ich hatte unter anderem einen Autor namens Jouve gelesen, der Himmel weiß, wie seine Bücher in diese Ansammlung kamen, und bin nur dadurch in der Lage, meine Geschichte mit einer gewissen Freiheit zu erzählen; wenn ich Sie verwirre, sagen Sie es ruhig. Wir küßten uns dann, bis es dämmerte. Eben noch rechtzeitig erschienen wir zum Abendessen, ich schwärmte von der unberührten Landschaft. Der Professor und seine Frau waren entzückt von meiner Natürlichkeit, beide ermunterten mich wiederzukommen. Und so geschah es. Einen ganzen Sommer lang verbrachte ich jeden Sonntag im Familienkreis, abgesehen von der Unterholztour, die bald ein fester Bestandteil des allgemeinen Programms war; Phyllis und ich beschränkten uns auf eine zärtliche Stunde, wir waren zum Hundespaziergang zurück. Unter der Woche sahen wir uns nie. Angeblich mußte sie arbeiten, besuchte jedoch mit ihrem Boxmeister, der den Weitspringer vertrat, verbotene Spielclubs. Fragte ich Phyllis dann im Wald, ob sie mich liebe, hörte ich von ihr, Ach ja, doch, schon, keine Sorge. Offenbar genügte mir das. Schließlich kam der Herbst, und eines Sonntagabends zogen Nebel auf. Horgan, das bedeutet Unheil, sagte der berühmte Professor und bot mir an, in seinem Haus zu übernachten. Phyllis errötete, und ihr Vater führte mich zum Gästezimmer – und morgen früh, Horgan, turnen wir zusammen, sagte er noch; aber so weit sollte es nicht kommen. In dem Gefühl, auf ein weltliches Dasein zuzutreiben, legte ich mich hin und dachte an Kinder und Enkel. Plötzlich ging die Tür auf, und die Person, die ich liebte, trat ein. Phyllis trug nur ein dünnes Leichtathletiktrikot, das sie wortlos abwarf. Mir stand das Herz still, als sie sich neben mich legte. Wir umarmten uns, und ich tat alles, um ihr für den Rest der Woche unvergeßlich zu bleiben. Die Einzelheiten dürften sich von Ihren Erfahrungen nicht wesentlich unterscheiden. Überspringen wir also die innigste Stunde zwischen Phyllis und mir und kommen zu dem Augenblick, der für mein Leben entscheidend werden sollte. Das Deckenlicht ging an, und der Professor stand im Zimmer, in einem taubenblauen Pyjama, solche Nebensachen merkt man sich bekanntlich . . .« Horgan bat um ein frisches Glas Wasser. Wieder trank er in kleinen Schlucken und sammelte letzte Reserven. Der berühmte Mann habe sich äußerst nobel verhalten, hauchte er seinem Zuhörer ins Ohr. »Ich wurde ersucht zu gehen und ging. Was sich danach zwischen ihm und seiner Tochter getan hat, müßte ich heute noch raten. Jedenfalls schrieb mir Phyllis, wir könnten uns nicht mehr öffentlich treffen, und für eine heimliche Beziehung sei es nach den Sonntagen bei ihren Eltern zu spät. Eine Logik, in die ich mich aus Zuneigung eindachte. Alles Weitere lehrte mich, daß einen Menschen zu lieben und diesen Menschen zu kennen zweierlei ist. Man sah Phyllis bald wieder in der Umgebung des Weitsprungmeisters, offenbar glücklich. Ich wechselte die Universität und wurde in Rekordzeit Priester.«
    Horgan sackte zusammen; für die Kraft, die er jetzt noch hatte, gab es keine vernünftige Erklärung mehr. Er sei dann ein Meister geworden im Überwinden von Enttäuschungen, auch im Hinwegkommen über den Verlust

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