Infanta (German Edition)
Obwohl McEllis noch über die richtigen Worte zu der Entführung nachdachte, fiel ihm diese Abweichung auf. Nach einem stillen Gebet verschwand er hinter einer Stellwand mit Fenster. Es zählte zu seinen pädagogischen Mitteln, daß er vor der Messe Gelegenheit gab, unter aller Augen zu beichten. Aber diesmal lag ihm daran, Zeit zu gewinnen. Ehe er vor die Gemeinde trat, wollte er noch Die Stimme Amerikas mit neuesten Meldungen hören. Vor der Beichtwand warteten bald einige Frauen, die mit ihren Gesangbüchern fächelten; das gewohnte Bild, hätte nicht eine dieser Frauen Schuhe mit hohen Absätzen und enge rote Hosen getragen.
Doña Elvira, die keine Messe von McEllis versäumte, sonst aber immer im Anschluß zur Beichte ging, hatte Kurt Lukas, blaß wie eine Opferkerze, in der stehenden Menge entdeckt und glaubte, ihn beeindrucken zu können, wenn er sie knien sähe. Völlig unbemerkt hatte sie drei Witwen, die vor ihr an der Reihe waren, mit jeweils zehn Pesos bestochen und rückte zum Erstaunen der ganzen Gemeinde an die Spitze der Schlange. Mit Inbrunst sank sie dort auf die Knie, bückte sich wie in Erwartung der Liebe, und wer nur etwas Phantasie besaß, konnte die deutlichen Vertiefungen und Wäscheränder auf dem Hosenstoff zu einem genauen Bild ihres Hinterns vervollständigen. Doña Elvira legte eine Wange an das vergitterte Fenster und wunderte sich, auf der anderen Seite ein Radio zu hören.
McEllis lauschte den Fünfuhrnachrichten. Gegen Ende der Meldungen hieß es, Sondereinheiten suchten jetzt nach dem Bischof; in der Erzdiözese sei eine Forderung nach fünfzigtausend Dollar Lösegeld eingetroffen. Er schob die Antenne in das Gerät, sah durch das Gitter und erkannte die schwarze Sängerin. »Ich kann jetzt nicht«, flüsterte er, »ich muß predigen. Und falls wir uns erst in einem Monat wiedersehen – kaufen Sie sich Lautsprecher, die nicht den halben Ort in Schwingung versetzen. Auch Lärmbelästigung ist eine Sünde.« Doña Elvira schlug vor ihrem Busen das Kreuz, erhob sich mit einem Ruck und schritt zu einem von Ferdinand freigehaltenen Platz; McEllis ging zum Altar. Nach einem Gebet für den Bischof und Schwester Angel sagte er, was gesagt werden mußte. Nur Kräfte, die der Kirche schaden wollten, würden ihr eine sinnlose Lösegeldforderung stellen. Er erwähnte noch, daß De Castro jedes Aufwiegen seiner Person in Geld für unannehmbar erklärt habe, und ein anerkennendes Gemurmel unter den Gläubigen drang über Funk bis an Narcisos Ohr. Und manch einer, übermittelte der Sergeant ergänzend, lächle dazu auch noch grimmig . . . Hätte sich Romulus etwas weiter in die Kirche gewagt, wäre ihm noch mehr aufgefallen – einer hatte sogar die Faust steil über seinem ungepflegten weißen Haar erhoben.
McEllis verlor für Sekunden den Faden, als er den früheren Mitbruder entdeckte: Wilhelm Gussmann hatte seit mehr als drei Jahren nicht mehr die Kirche betreten. Ihn hier zu sehen, in seiner Messe, nachdem sie kaum mehr miteinander sprachen, seit Gussmann gesagt hatte, Du bist wie ich, bloß feiger, nahm McEllis die Luft, als habe er eine verflossene Liebe entdeckt, einen Menschen, der ihn zu gut kannte. Da stand dieser Mensch nun und schaute ihn etwas mitleidig an, aber warum? Seit seinem Ausscheiden gehörten Gussmanns Sonntage dem Hahnenkampf, besser gesagt, den Hähnen, und auf einmal erschien er in der Kirche und zeigte die Faust, am Ende noch ihm . . . Keinem fiel auf, wie sich McEllis mit Füllworten behalf, um zur Bibelstelle überzuleiten. Er sprach und dachte dabei nach. Es gab nur zwei Erklärungen: die Entführung von De Castro oder die veränderte Lage auf der Station, nachdem Mister Kurt ihr Gast geworden war. McEllis entschied sich bald für die zweite Erklärung; während der Lesung konnte er beobachten, wie sich Gussmann durch die Menge der Stehenden schob und hinter Kurt Lukas trat, wie er ihm etwas ins Ohr sagte und ihn danach ins Freie lotste. Auch dafür gab es zwei Erklärungen: Entweder hatte der immer noch Deutsche Wilhelm Gussmann bemerkt, wie elend sein Landsmann aussah, und kümmerte sich um ihn; oder er intrigierte bereits. Wieder entschied sich McEllis für die zweite Erklärung. Dann schloß er die Bibel und hielt eine hieb- und stichfeste Predigt.
»Man sollte von einem Polizeichef eben keine Geschenke annehmen, nicht einmal ein Ei«, bemerkte Gussmann, als sich Kurt Lukas an einem Limonadenstand den Mund spülte. »Und sobald du das Ei überwunden
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