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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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und brachte eins der Bücher mit den Fingern zum Pendeln. Gussmann sah die blaue Hand. Wie ein Chirurgenopfer vor Erfindung der Narkose in ein Stück Holz biß, hatte Mayla hineingebissen, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Er löschte das Licht und schloß das Gitter von innen. »Du mußt dich nur entscheiden, ehe die Bücher zerfallen.«
    Der frühere Priester öffnete eine Tür, die in den hinteren Bereich führte. »Wundere dich nicht über Flores. Sie gehört zu den Menschen, die man eher wahrnimmt, wenn sie nicht anwesend sind. Dabei ist sie großartig. Spaltet das Holz, bereitet das Essen, trägt mir nichts nach, hält mich nicht kurz, renkt alles ein, kommt und geht.« Er machte Licht an über einem Tisch. »Wir essen allein. Flores ißt nie vor mir und nie mit mir, sondern immer nach mir.« Aus dem unbeleuchteten Teil der Hütte trat eine Frau, flüsterte einen Gruß, tischte auf, schenkte ein und ging.
    Sie nahmen Platz, und Wilhelm Gussmann erzählte. Er erzählte von Flores und von sich, von den Brüdern und seinem Ausscheiden, er erzählte von Mayla. Alles hänge miteinander zusammen; und Mayla gäbe es gar nicht ohne ihn. Er war überzeugt davon, daß sie nur durch sein Eingreifen, durch die Jahre auf der Station zu dieser Verbindung aus Schönheit und Klugheit gelangt war. »Natürlich hatten wir eine engere Beziehung, als sie etwa zwischen Mayla und McEllis bestand. Wir berührten uns schon einmal im Vorbeigehen.« Er sprach von einer Tür, die damals noch in die Küche geführt hatte, er sprach von ruhigen Abendstunden neben dem Herd. Er verschwieg, daß er Mayla dort in den Arm genommen hatte, eine Fünfzehnjährige, und ihr Schläfenhaar küßte, ohne an die Durchreiche zu denken, die halb offengestanden war, während Butterworth am Eßtisch saß. »Ich wollte dann fort«, sagte Gussmann. »Nicht ganz fort, nur aus Maylas Nähe. Ich ertrug es nicht mehr, sie ständig anzuschauen, ich ertrug es auch nicht mehr, mir jeden Gedanken an sie zu verbieten. Also trat ich aus, kaufte diesen Laden und nahm mir eine Hilfe. Eine früh Verwitwete, nicht jung, nicht alt, ich könnte dir gar nicht sagen, wie alt meine Unersetzliche ist.« Er trank und schwieg; Flores füllte seinen Becher.
    Wenn sie nicht nach schenkte oder die angebrochenen Speisen auf dem Tisch wieder zurechtschob, als seien sie noch unangetastet, nur geringer geworden, stand sie im dunkleren Teil des Raums und verfolgte alle Bewegungen; jede Abweichung von einer nur für sie erkennbaren Harmonie des Tischbildes korrigierte sie rasch, lautlos und unwidersprochen. Aus einer schlecht bezahlten Angestellten war eine mächtige Dienerin geworden. Flores war nur einige Wochen im Laden gestanden, in der ersten schwierigen Zeit, als die Kundschaft Scheu gehabt hatte, sich Liebesheftchen bei einem früheren Priester zu leihen; eines Abends, nachdem das Gitter heruntergelassen und alle Lichter gelöscht waren, hatte Wilhelm Gussmann sie dann zur Hilfe für sein gesamtes Leben gemacht.
    »Natürlich fragen sich die Leute, was das für eine Geschichte ist zwischen Flores und mir«, fuhr er fort. »Ich weiß es selbst nicht. Und eine Heirat würde es auch nicht klären. Offiziell ist sie immer noch meine Aushilfe.« Er kam auf Mayla zurück, die zu Flores ein gutes Verhältnis habe. Auch umgekehrt sei es so, sagte er und verschwieg, daß dieser Frieden auf einem Gerüst von Halbwahrheiten beruhte. Flores wußte nicht, wie sehr er sich in Gedanken mit Mayla befaßte, und Mayla wußte nicht, wie sehr er Flores brauchte. Gussmann glaubte längst an das, was er über sich mitteilte; er hielt sich für ein offenes, aber schwieriges Buch, ebenso gekrümmt wie seine Erstausgaben. In einsamen Nachtstunden glaubte er sogar, eine Art Heiligenleben zu führen; denn alles, was nicht Mayla war, war bereits die Wüste, eine Leere, die er mit ausgesuchten Entsagungen füllte.
    Sie aßen von Plastiktellern, sie tranken aus Plastiknäpfen. Sie benützten stumpfe Messer, sie saßen auf harten Schemeln. Das Licht war schwach, die Luft zum Ersticken. Sie sahen auf ein Bettlager, Bretter um eine Matratze, ein Tuch, eine Decke; sie rochen das faulende Stroh. Die Wände gehörten den Gekkos, der Boden großen Schaben. Zwei Bierhumpen in einem Regal waren der einzige Schmuck in dem Raum. Es gab keine Kalenderbilder, keine Fotografien, keine Vase, kein einziges Erinnerungsstück. Der gediegene Hut und das Verkommenlassen der seltenen Bücher, sein Köfferchen und der Anblick der

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