Infanta (German Edition)
der Weg über das All mit sich bringt, kam endlich ihr »Kurto, darling«. Es gehe ihm gut, erklärte er, um nicht zu verstummen. »Gut, gut, gut, bene!« Bis auf die Straße hörte man ihn, und Angelockte kamen in die Post. Tot, wieso? Nein, er sei keineswegs tot, rief er und sah durch das Bullauge den Fotografen Adaza, eine Kamera in der Hand, gefolgt von dem Novizen mit Rucksack; alle starrten in die Kabine, nur Mayla nicht. »Was ist los mit dir, Darling, wo steckst du, mach keine Geschichten!« Beatrices Stimme behielt auch über den Äther ihre betäubende Wirkung, und wie immer waren die Sätze ein Sprachengemisch – »Man sucht dich schon, you are crazy, mio bello!«
»Es geht mir gut«, rief er wieder.
»Caro, wo bist du?«
Kurt Lukas trat die Tür auf, um nicht zu ersticken. Er wollte Infanta rufen, aber dann erschien es ihm sinnlos. Er wollte den Namen des Landes rufen, aber der Name des Landes war plötzlich ein Zungenbrecher, nicht wichtig genug, um noch einmal anzusetzen, was ja nur Geld kostete, Geld, das er nicht hatte, und so rief er wieder, es gehe ihm gut. Jesus Fidelio schaltete sich ein, sagte, »Noch eine Minute«; Adaza schoß ein Bild.
»Wann kommst du zurück, Kurto caro?«
»Ich weiß es nicht.«
»Oh, fuck! Che cazzo! Was weißt du, mio bello?«
Und zum vierten Mal rief er, es gehe ihm gut hier, ganz gut soweit, molto bene, er sei in dem Land, wo jetzt bald gewählt werde, auf dieser Insel, wo der Bischof entführt worden sei, bei den fünf alten Priestern, auf dieser Station –, vernahm am anderen Ende ein Stoßgebet und hörte den Poststellenleiter rufen, »Sir, drei Minuten sind um«, brüllte noch, »Ciao«, legte auf und taumelte aus der Kabine. Die anstrengendsten drei Minuten seines Lebens.
Die Leute wichen zurück. Niemand sprach. In dem Schalterraum herrschte die Stille nach einem Unfall. Der Novize stützte den Erschöpften. Er sei auf dem Weg zum Bus, habe ihn überall gesucht, um Abschied zu nehmen, habe ihn dann mit Gottes Hilfe bis auf die Straße gehört und sei in die Post gelaufen. Schlimm, so ein Ferngespräch; Krach mit der Freundin? Kurt Lukas lächelte müde. Er lächelte noch, als Mayla ihm entgegenkam, bat sie lächelnd um Geld, »Nur hundertzwanzig Pesos oder sechs Dollar, okay?« Er nickte ihr zu, und Mayla suchte ihre Zigaretten. Sie hatte keine hundertzwanzig Pesos oder sechs Dollar, und der Novize hatte sie auch nicht, nur sein Geld für die Rückfahrt, und Jesus Fidelio winkte bereits mit der Rechnung. Kurt Lukas griff noch einmal in jede Tasche, schloß die Augen, als könnte das helfen, und biß die Zähne zusammen. Sekundenlang nahm sein Gesicht einen Allerweltsausdruck an, den Ausdruck all derer, denen es lebenslänglich an Geld fehlt – ein Anflug von Käuflichkeit, den der Fotograf Adaza nutzte, um hinter vorgehaltener Hand seine Hilfe anzubieten. Wenn er dafür eine Aufnahme von ihm machen dürfe, vielleicht eingerahmt von den beiden anderen, etwas fürs Schaufenster, mit Abzügen für jeden. Ein Angebot, das keiner der drei ausschlagen konnte. Er, Mayla und Kurt Lukas auf einem Foto, das war für Augustin das große Los. Mayla brauchte Fotos für ihre Bewerbung. Kurt Lukas hatte keine Wahl.
Ungeachtet der glühenden Mittagshitze traf Adaza schon wenige Minuten nach diesem Coup erste Vorbereitungen und sah sein großes Ziel plötzlich zum Greifen nahe – seit er eine Dunkelkammer besaß und die Wirkungen der Entwicklungsbäder kannte, träumte er davon, mit dem offiziellen Präsidentenporträt, das inklusive der First Lady ja ein Doppelporträt wäre, beauftragt zu werden. Die Gegenkandidatin zu unterstützen kam für ihn schon deshalb nicht in Frage, weil sie Witwe war und sich der Auftrag halbiert hätte. An allen Wänden von Adazas Bretterstudios gegenüber der Post hingen Beweise für die Heftigkeit seines Traums. Angefangen mit dem Polizeichef hatte er sämtliche Würdenträger Infantas und der umliegenden Provinz fotografiert. Nur ihre Bekanntheit zählte, und dieser Wahllosigkeit hatte es Adaza zuzuschreiben, daß sich ein De Castro nach wie vor vom Kirchenfotografen aufnehmen ließ. Prunkstück der Sammlung war, neben Doña Elvira im Abendkleid, ein gerahmtes Porträt, das alle anderen Bilder an Größe und Farbenpracht übertraf. Es zeigte einen Mann mit straff zurückfrisiertem grauem Haar, dem Blick eines Toten und dem Mund eines Kindes. Auf einem Schildchen unter dem Rahmen stand: Dr. Arturo Pacificador, Gouverneur.
Adaza dachte
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