Infanta (German Edition)
anderen Ende der Welt – seine geographischen Kenntnisse widersprachen dem, doch sein Herz verlangte nach dieser Dimension – herzustellen. Der Zentrale gab er die Nummer durch, als handle es sich um eine militärische Operation, und in dem Wissen, daß sich die Geheime Polizei für jedes Ferngespräch aus Unruhegebieten interessierte, fragte er seinen prominenten Kunden auch gleich nach dem Namen des Teilnehmers.
»Beatrice.«
»Nur Beatrice?«
»Nur Beatrice.«
Der Poststellenleiter gab das weiter, bevor er in eine Tabelle sah und auf die Uhrzeit in Mitteleuropa hinwies. Kurt Lukas nickte ihm zu. Beatrice war Frühaufsteherin. Wenn sie überhaupt je ins Bett ging. Bis in die Morgenstunden reichte ihr Ehrgeiz, unter Hunderten von Gesichtern genau den richtigen Mann für die richtige Sache herauszufischen. In diesen Paarungen lag ihre Stärke. Beatrices Agentur war klein und fein; keiner Schwierigkeit aus dem Wege gehend, führte sie nur Männer in ihrer Kartei. Und der gefragteste von allen war Kurt , den sie eines Nachts mit einem ganzen Staat vermählt hatte. Singapores Touristikexperten waren ratsuchend durch Europa gereist, und sie hatte ihnen sein Gesicht verkauft. Er war ihr immer noch dankbar.
Fidelio – ein Mann auch, der sich rasch geehrt fühlte – bot seinen Stuhl an. Kurt Lukas lehnte ab. Er konnte nicht sitzen. Er war nervös. Nach wie vor ruhte der normale Betrieb. Einer der Untergebenen trat in die einzige Telefonkabine und rieb mit einem Lappen den schwarzen Apparat ab. Anschließend putzte er das runde Fenster in der Tür. »Wie lange wird es dauern, eine Stunde?« Der Poststellenleiter gab ihm die in feuchtheißen Ländern häufigste Antwort: »It depends.« Kurt Lukas zählte sein Geld. Zweihundertvierzig Pesos hatte er noch, nicht gerade viel; seine Kreditkarten waren im Ort nur belächelt worden. Er schritt auf und ab. Ein Glas Wasser wurde in die Kabine gestellt. Was erwartete man? Trotz einer Schlange vor dem Schalter war es seltsam still. Nur schleppend kam die übliche Abfertigung wieder in Gang. Niemand drängte. Die Leute sahen auf das blankgeputzte Telefon, als könnten sie etwas vom anderen Ende der Welt aufschnappen, wenn die Verbindung erst stünde. Der Untergebene wischte auch das Wasserglas ab. Dann trieb er zwei Schaben aus der Kabine, schloß die Tür und hockte sich wie ein Wärter davor.
»Was kostet das Gespräch?«
»Dreihundertsechzig Pesos«, rief Jesus Fidelio, als verkünde er ein Sonderangebot. »Die ersten drei Minuten. Jede weitere Minute hundert Pesos.«
»Unterbrechen Sie mich nach drei Minuten.«
»Wie Sie es wünschen, Mister Kurt.«
»Sie kennen mich?«
»Wer kennt Sie nicht.«
Er schaute umher. Die Leute starrten ihn an. Ihn, dem hundertzwanzig Pesos fehlten. Etwa sechs Dollar. Das war gar nichts. Aber fehlte. Er sah die fieberhafte Miene des Poststellenleiters: An Stornierung war nicht mehr zu denken. Außerdem wollte er telefonieren, mußte. Schließlich rief er sie sonst wöchentlich an, meistens nachts, in der am schwersten zu ertragenden Stunde, nach zehn. Sie sprachen dann bis elf oder länger. Nichts Bewegendes. Beatrice schimpfte auf Liebhaber, er erzählte von seinen Touren; sie sprachen Englisch, Italienisch, Deutsch, ein Fest der kleinen schmutzigen Worte. Und jetzt hatte er drei Minuten und konnte sie nicht bezahlen. Er blickte hilfesuchend zu den Leuten vor dem Schalter und sah eine ganz mit dem Ausfüllen eines Umschlags beschäftigte Frau am Ende der Schlange. Mayla.
»Ihr Gespräch, Sir«, rief der Poststellenleiter, »nehmen Sie ab, wenn es läutet.«
Der Untergebene kam aus der Hocke und riß die Tür auf, Kurt Lukas zwängte sich in die Kabine, schon war die Tür wieder zu. Er konnte sich nicht rühren und das Gespräch nicht bezahlen, wurde angestarrt durch ein Bullauge und wußte nicht, was er sagen sollte, weder Beatrice in den drei Minuten noch Mayla nach den drei Minuten. Schweiß brach ihm aus. Sein Kopf stieß an die Decke. Das Glas Wasser stürzte um. Der Apparat läutete.
Aufgelöst nahm er den Hörer ab, eine Frauenstimme sagte, »Hold it«. Es rauschte, knackte, pfiff und dann, wie aus dem Jenseits, ihr einzigartiges, heiseres Pronto!? Kurt Lukas konnte nicht sprechen, aber es gelang ihm zu brüllen. »Ich bin es, ich! Io!« brüllte er und erschrak über sein Echo. Beatrice verstand offenbar nichts, fragte nur Wer, fragte »Who?«, und er brüllte wieder. »Ich bin es, io!«, und mit jener kleinen Verzögerung, die
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