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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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die ja nun in einer Woche hoffentlich stattfinde, um dann ohne Absatz zu schreiben, »Sah heute übrigens ein Bild von Mister Kurt in Newsweek, er ist offenbar Fotomodell oder war es«, begann der bleiche Priester mit den Worten, »Was unseren Gast betrifft: Er macht Reklame. Ein Täuscher.« Beide widmeten der Zwangsoffenbarung, wie Butterworth es ausdrückte, gleich viel Raum. Das jahrelange Wand an Wand Leben hatte ihr Gehör für jedes Papierabreißen so geschärft, daß sie nach dem Prinzip kommunizierender Röhren arbeiteten. Füllte sich hier eine Seite, füllte sich dort eine Seite. Sie schrieben die ganze Nacht und kamen zu verschiedenen Resultaten. Butterworth formulierte seine Sorge, daß Mayla nur einer raffinierten Wirkung erlegen sein könne, so wie er selbst, als er einen Moment lang geglaubt habe, einem souveränen, dem berühmten Hotel eine Gefälligkeit erweisenden Schriftsteller gegenüberzusitzen, einem Kopf im besten Mannesalter. McEllis schloß dagegen mit den Sätzen: »Sie wird uns verlassen, und sie wird ihn verlassen, die Liebe gegen das Leben tauschen und alt werden. Noch hoffe ich, daß Mayla diesen Menschen, den ich verwechselt habe, Gott weiß, mit wem, liebt und daß dieser Mensch ihre Gefühle erwidert.«
    Niemand auf der Station fand in jener Nacht genug Schlaf. Das Heft mit dem aufsehenerregenden Bild zirkulierte, und die Gedanken der Alten kreisten um das Wesen ihres Gastes, der ebenfalls wach lag. Beim Frühstück war jeder erschöpft, aber der Lauf der Dinge ließ keinen zur Ruhe kommen. Während der Novize und Horgan am Vormittag ein denkwürdiges Abschiedsgespräch führten, Kurt Lukas unter Kreuzschmerzen von der Gartenarbeit litt und Mayla unterwegs war, um dem Bischof ihren Entschluß mitzuteilen, verbreiteten sich in Infanta zwei Gerüchte.
    Fischhändler hatten von der Küste die Nachricht mitgebracht, der bekannte Söldnerführer Singlaub sei mit einem Stoßtrupp auf der Südinsel gelandet, und bald hieß es, er habe den Kessel von Infanta als Basis für seine Aktionen gewählt. Der General außer Dienst John Singlaub war tatsächlich gelandet, befand sich aber noch in der Etappe. Er gab Pressekonferenzen. Singlaub beharrte auf seiner Rolle als Schatzsucher, einer sagenhaften, auf Milliarden Dollar geschätzten Kriegsbeute aus asiatischen Tempeln auf der Spur. Die Leute glaubten ihm, auch wenn in ausländischen Zeitungen stand, er werde von einem früheren Gouverneur bezahlt, um die Wahl zu stören. Das zweite Gerücht war simpler. Es besagte, der Gast der Station sei ein bedeutender Schriftsteller und schreibe hier an einem Liebesroman.
    Kurt Lukas hörte weder von dem einen noch dem anderen Gerücht, als er gegen Mittag in den Ort ging, um ein Überseegespräch zu führen. Er wunderte sich nur, wie verhalten ihn manche grüßten. Vielleicht lag es am Wetter. Über ihm war ein leergefegter Himmel, schon seit Tagen von unendlichem Blau. Was hatte er so einem Himmel entgegenzusetzen? Ein wehes Kreuz, seine Haut, die sich schälte, und einen haarsträubenden Morgentraum. Ein Erschießungskommando hatte ihn exekutiert, sein Leichnam wurde auf ein grünes Bett gelegt; übersät mit blutenden Einschußlöchern, hatte er sich dort liegen sehen und war erschrocken, als er später auf den Balkon trat und die zartgrünen Tulpenbäume voller roter Blüten erblickte. Und als er sich dann aufgerafft hatte, das Haus verließ, über die Veranda ging, lag das Newsweek-Heft in Horgans Schoß. Seitdem fühlte er sich klein; er mußte dringend telefonieren. Seine Schritte wurden rascher. Noch ging er: ein Geher, weit abgeschlagen vom Feld. Kaum war er in die Hauptstraße eingebogen, verletzte er die eiserne Regel des Gehens, er lief. Der Fotograf Adaza, der ihn kurz darauf in die Post stürzen sah, war überrascht – hatte er sich doch einen Literaten immer gemessener vorgestellt; er war entschlossen, ihn für sein Schaufenster zu fotografieren.
    Nur wenige Sekunden später war auch Jesus Fidelio überrascht, überrascht von unerwarteter Arbeit. Der Leiter der Poststelle zählte zu den Menschen, die einnicken, wenn sie nicht unbedingt gebraucht werden. Im Zustandekommen eines Telefongesprächs nach Mailand sah er jedoch einen Höhepunkt seiner Laufbahn. Hinter einem Pult stehend, zog er die drei Untergebenen von anderen Aufgaben ab und leitete unter ihren Blicken und den staunenden Augen der Kunden, die ohne Widerspruch warteten, alle nötigen Schritte ein, um die Verbindung mit dem

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