Infanta (German Edition)
zu diesem Foto.« Er nahm das Heft und zeigte die Seite den anderen, wie er ihnen die Ansichtskarte gezeigt hatte. Zu Pacquin sagte er: »Ein Bild von Mister Kurt in Newsweek, er sitzt in einer berühmten Bar. Eine Anzeige für Raffles Hotel – das Hotel, in dem Sie zuletzt logiert haben, nicht wahr? Aber dieses Foto scheint älter.«
»Es wurde voriges Jahr aufgenommen. Diesmal ging es um etwas anderes. Ich wohnte nur dort.«
»Als Mister Kurt?«
»Unter diesem Namen führt mich meine Agentur. Ich bin Kurt. Modelle haben nur Vornamen.«
Butterworth vertiefte sich in das Bild. »Es wäre also falsch anzunehmen, Sie schrieben?«
»Ja.«
»Aber hier sitzt der Schriftsteller in persona, Mister Kurt. Sie schauen wie der mittlere Joyce, so zur Seite.«
»Dafür holt man mich.«
»Und diese Frau im Bild kennen Sie gut?«
»Nur ihren Vornamen.«
McEllis suchte in den Kuchenresten herum.
»Mayla weiß von Ihrer Tätigkeit?«
»Ja.«
»Wir wußten davon nichts.«
Horgan bat um das Bild und las dann regelrecht darin – »Sie halten den Füller etwas umständlich, Mister Kurt; sonst eine tadellose Aufnahme. Amerikanischer Fotograf?«
»Deutscher. Aber lebt in New York. Bob Quint.«
Horgan bat um nähere Auskünfte, und Kurt Lukas erzählte von seinem Entdecker. Vor vielen Jahren hatte ihn Quint auf einem Illustriertenfoto gesehen, einem Foto zu einem Bericht über Rekruten. Kurt Lukas, knapp neunzehn, im Kameradenkreis, Manöverpause. Lauter Erschöpfte, schlafend, verklebtes Haar, offener Mund, Doppelkinn; nur ihm stand das alles. Quint hatte wie eine Geliebte vor dem Kasernentor gewartet, ihn zu Bier und Jägerschnitzel eingeladen und erklärt, sein Gesicht brauche Eltern. Der Vater wurde er selbst, die Mutter lieferte er nach, Beatrice, Milano; damals noch Agentin ohne Büro, aber schon die kleine laute Frau, auf die man sich immer verlassen konnte, sogar im toten August.
»Mister Kurt, Sie sorgen für Überraschungen«, bemerkte Dalla Rosa, an den das Bild weitergegangen war. »Ich habe mir oft gewünscht, einmal in Raffles Bar Whisky zu trinken. Gewährt man Ihnen dort Rabatt?«
»Den üblichen Writers’ Discount.«
»Also schreiben Sie doch«, murmelte Butterworth.
»Ich schreibe nicht. Das ist nur der gebräuchliche Name für die Ermäßigung in diesem Hotel.«
»Weil dort so viele bedeutende Autoren verkehren«, rief Dalla Rosa. »Wem sind Sie begegnet? Aragon? Maugham? Montale? Frost?«
»Tot, tot, tot«, sagte Butterworth. »Alle tot; frag ihn doch gleich nach Conrad.«
Dalla Rosa schloß das Heft und reichte es an McEllis zurück. »Mit anderen Worten sind Sie keinem bedeutenden Autor begegnet, Mister Kurt.«
»Ich glaube nicht.«
»Wahrscheinlich weil es keine bedeutenden Autoren mehr gibt« – Dalla Rosa lächelte zaghaft – »oder die toten uns zu nahe stehen . . .« Sein Wanderauge schaute fragend in die Runde, doch der Blick erreichte keinen. Der feine Kokon der Nachmittagsträgheit hatte Pavillon und Besucher umsponnen. McEllis fächelte mit dem Newsweek-Heft über der Hündin; nach und nach sah jeder auf ihren flockigen Bauch, und plötzlich fiel die Zahl Drei, worauf auch Horgan noch einmal zu sich kam. Mit großer Mühe hob er eine Hand und spreizte die Finger.
Der Rest des Tages verlief wie üblich. Der erste schwache Wind weckte die Alten; aus ihrem Schlaf wurde Schlummer, aus Schlummer Bewegung, aus der Bewegung Rumoren, aus stillem Gären Geschäftigkeit, die bis zur Abendmesse anhielt. Beim anschließenden Essen löffelten und brockten sie, als sei nichts geschehen. Ab und zu fiel ein Wort. Weniger das Gesagte, mehr der Ausdruck dessen, was anklang – das Anheben zu einem längeren Satz, das Atemholen für das, was nicht zur Sprache kam, das kurze Nachtrauern, wenn Geäußertes sich in halben Erwiderungen erst abwandelte, dann verlor, die Übergänge von einem Aufflackern zum anderen –, bildete das eigentliche unermeßliche Tischgespräch, an dem Kurt Lukas nicht teilhaben konnte; auf ihre zuvorkommende Weise behandelten ihn die fünf an dem Abend wie Luft.
In den Nachtstunden setzten McEllis und Butterworth die begonnenen Briefe an Gregorio fort. Sie konnten beide kaum glauben, daß er zurückkehrte, und hüteten sich, auf die Karte Bezug zu nehmen. Jeder erwähnte nur ihren Eingang; es blieb die einzige Übereinstimmung in der Darstellung des vergangenen Tags. Während McEllis am Wetter anknüpfte, von einem extremen Januar sprach und über die Hitze zur Wahl kam,
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