Infernal: Thriller (German Edition)
neben mir.
»Mr Wheaton«, sagt Lenz, »ich muss sagen, diese Arbeit hier ist atemberaubend. Diese Rückkehr zu Ihrer früheren Inspiration wird die Kunstwelt aufhorchen lassen.«
Auf diese Entfernung fällt es leicht, Kultur und Bildung aus der Stimme des Psychiaters herauszuhören, im krassen Gegensatz zu der von Kaiser.
»Dagegen hätte ich nichts«, sagt Wheaton. »Ich denke zwar nicht viel über Kritiker nach, aber ich mag sie auch nicht. Sie waren mir immer gewogen, aber sie haben die Arbeit von Leuten zerrissen, die ich bewundere, und das verzeihe ich ihnen nicht.«
»Was hat Wilde über Kritiker gesagt?«, entgegnet Lenz. »Wer böse Bedeutungen hinter schönen Dingen entdeckt, der ist selbst verdorben und schlecht.«
»Ja!«, ruft Wheaton mit heller Freude in der Stimme. »Sie klingen wie Frank! Er ist ein großer Fan von Oscar Wilde.«
»Tatsächlich? Unter diesen Umständen bin ich sicher, dass wir prächtig miteinander zurechtkommen werden.« Weiteres Stoffrascheln von Lenz’ Kleidung. »Mr Wheaton, als forensischer Psychiater bin ich auch Arzt. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich Sie gern nach Ihrer Krankheit fragen und wie sehr sie Ihre Arbeit beeinträchtigt.«
»Das ist etwas, worüber ich lieber nicht sprechen möchte.«
Lenz antwortet nicht gleich, aber ich kann mir die messerscharfen Blicke vorstellen, mit denen er in diesem Augenblick Roger Wheatons Gesicht mustert. »Ich verstehe«, sagt er schließlich. »Doch ich fürchte, ich muss darauf bestehen. Eine Diagnose wie diese hat tief greifende Auswirkungen auf die menschliche Psyche, wie Sie sicher sehr genau wissen. Paul Klee litt übrigens an der gleichen Krankheit.«
»Ja. Und seine Arbeit ebenfalls.«
»Ich sehe, dass Sie Handschuhe tragen. Hat der Umzug in den Süden das Raynaud-Syndrom gelindert?«
»Ein wenig. Doch hauptsächlich deswegen, weil die Universität so viel unternommen hat, um mich vor Anfällen zu schützen. Beispielsweise hat sie sich einverstanden erklärt, dass ich meine Vorlesungen in einem unklimatisierten Hörsaal halte. Das kann in einer Stadt wie New Orleans recht hart sein, doch niemand scheint es unerträglich zu finden.«
»Das würde ich ebenfalls so sehen. Sie sind immerhin ein bedeutender Künstler.«
»In gewissen Kreisen vielleicht. Ich leide immer noch häufig unter Anfällen, um Ihre Frage zu beantworten.«
»Haben Sie bereits permanente Gewebeschäden an den Händen davongetragen?«
»Auch darüber möchte ich nicht sprechen.«
»Ich werde mich so kurz fassen wie möglich. Werden Sie hier in New Orleans behandelt?«
»Ich war nur einmal in der rheumatischen Abteilung der Tulane. Es war wenig beeindruckend.«
»Sicherlich gibt es andere Universitätsstädte, wo Sie hätten hingehen können, und wo Autoimmunkrankheiten eine höhere Priorität genießen? Haben Sie andere Angebote in Erwägung gezogen?«
»Wo auch immer ich war, die Behandlungsmethoden konzentrieren sich im Wesentlichen auf eine Linderung der Symptome. Das wissen Sie sehr wohl, Doktor. Ich denke, ich tue besser daran, einfach weiterzuleben wie bisher und die Krankheit zu ignorieren, so gut ich kann.«
»Ich verstehe. Wurde die Funktion Ihrer Organe im Lauf des letzten Jahres kontrolliert?«
»Nein.«
»Lassen Sie wenigstens regelmäßig Ihren Blutdruck überprüfen?«
»Nein.«
»Aber Sie wissen, dass ein beschleunigtes Ansteigen des Blutdrucks ein Hinweis auf ...«
»Ich bin kein Dummkopf, Doktor. Ich würde lieber das Thema wechseln, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Meine Zeit ist zu knapp, um sie mit Diskussionen über das zu verschwenden, was mich umbringt.«
Eine Woge des Mitleids steigt in mir auf, als Lenz erbarmungslos nachhakt. »Warum lässt er den armen Teufel nicht in Ruhe?«
»Weil er glaubt, dass er etwas gefunden hat«, sagt Baxter mit angespannter Stimme.
»Tatsächlich?«
»Die Diagnose einer tödlichen Krankheit stellt einen enormen Stressfaktor dar. Er könnte einen dafür empfänglichen Menschen durchaus zum Mörder werden lassen.«
»Wissen Sie, dass einige revolutionäre neue Behandlungsmethoden in der Erprobung sind?«, fragt Lenz. »In Seattle beispielsweise wird körpereigenes Knochenmark transplantiert, um ...«
»Ich bin mir all dessen durchaus bewusst, Doktor ...?«
»Lenz.«
»Doktor Lenz, danke sehr. Ich begreife meine Lage sehr wohl. Ich frage mich allerdings, ob Sie das tun. Ich bin ein Künstler. Ich habe keine Familie. Das Wichtigste in meinem Leben ist meine Arbeit. Ich werde so
Weitere Kostenlose Bücher