Infernal: Thriller (German Edition)
wirklich auseinander getrieben?«
Er seufzt und stellt seine Dose ab, als wäre sie zu schwer geworden, um sie zu halten. »Es lag nicht daran, dass ich die Arbeit allem anderen übergeordnet hätte, obwohl das sicher so war. Wäre ich Arzt oder Ingenieur gewesen, hätte es ihr wahrscheinlich nichts ausgemacht. Es lag wohl eher daran, dass ich mit jemandem, der so normal war wie sie, einfach nicht über die Dinge reden konnte, mit denen ich Tag für Tag zu tun hatte. ›Konventionell‹ trifft es wahrscheinlich besser als ›normal‹. Es kam so weit, dass wir überhaupt keinen gemeinsamen Bezugspunkt mehr hatten. Ich kam nach Hause, nachdem ich mir achtzehn Stunden lang ermordete Kinder angesehen hatte, und sie regte sich auf, dass die neuen Vorhänge für das Wohnzimmer nicht ganz zur Farbe des Teppichs passten. Ich versuchte mehr als einmal, es ihr zu erklären, aber wenn ich ihr die ungeschminkte Wahrheit sagte, wollte sie nichts davon hören. Wer will das schon, wenn es nicht unbedingt sein muss? Sie schloss all das aus ihrem Leben aus, und mich dazu.«
»Machen Sie ihr deswegen Vorwürfe?«
»Nein. Es zeigte mir, dass sie gute Überlebensinstinkte besaß. Es ist weit gesünder, diese Dinge nicht in seinen Kopf zu lassen, weil man sie niemals wieder rauskriegt, wenn sie erst einmal drin sind. Sie wissen, was ich meine. Sie haben wahrscheinlich mehr von der Hölle gesehen als ich.«
»Ich glaube nicht, dass man die Hölle quantifizieren kann. Aber ich weiß, was Sie meinen. Wenn Sie sagen, dass man nicht darüber reden kann. Ich habe während meiner gesamten beruflichen Laufbahn versucht, genau das zu tun, und manchmal frage ich mich, ob es mir auch nur ein einziges Mal gelungen ist. Die Bilder, die ich auf Film gebannt habe, vermitteln nicht einmal einen Bruchteil des Entsetzens der Bilder in meinem Kopf.«
Kaisers Augen sind voll von einem Verständnis, wie ich es lange nicht mehr gesehen habe. »Da sitzen wir also«, sagt er leise. »Beschädigte Ware.«
Was ich für diesen Mann empfinde, ist keine Vernarrtheit, auch keine neurochemische Anziehung, die mich an nichts anderes mehr denken lässt, als mit ihm zu schlafen. Es ist einfach Vertrautheit, eine Vertrautheit, die ich von der ersten Stunde an gespürt habe, seit wir zusammen in meinem gemieteten Mustang gefahren sind. Er hat eine Ungezwungenheit – und gleichzeitig eine Vorsicht –, die mich anzieht. John Kaiser hat in die tiefste Dunkelheit geblickt und ist trotzdem immer noch normal, und so etwas ist selten. Ich brauche keinen Mann, der mich beschützt, doch ich weiß, dass ich mich bei ihm so sicher fühlen würde, wie ich mich nur fühlen kann.
»Und Sie wollen Kinder?«, fragt er und nimmt die Unterhaltung von vergangener Nacht im Camellia Grill wieder auf. Ich denke an meine Nichte und meinen Neffen und verfluche ihren Vater dafür, dass er meine Zeit mit ihnen verdorben hat.
»Ja, möchte ich.«
»Sie sind wie alt – vierzig?«
»Jepp. Ich muss ziemlich bald anfangen.«
»Haben Sie schon einmal über die Jodie-Foster-Lösung nachgedacht? Einen Spender suchen, der Ihnen zusagt?«
»Das ist nicht mein Stil. Wollen Sie Kinder?«
Er sieht mich an, und seine Augen funkeln. Er genießt die Unterhaltung sichtlich. »Ja.«
»Wie viele?«
»Eines pro Jahr für die Dauer von fünf oder sechs Jahren.«
Mein Magen verknotet sich. »Ich schätze, damit bin ich aus dem Rennen.«
»Das war nur ein Scherz. Aber zwei wären ganz nett.«
»Mit zweien käme ich vielleicht zurecht.«
Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagt er: »Was zur Hölle reden wir da eigentlich?«
»Vielleicht ist es der Stress. Wir stehen beide unter großem Druck. Ich habe schon früher erlebt, wie sich auf diese Weise Beziehungen geformt haben. Sie enden gewöhnlich nicht gut. Glauben Sie, dass es das ist, was mit uns geschieht?«
»Nein. Ich habe schon unter schlimmerem Druck gestanden als bei diesem Fall, ohne nach der nächstbesten Frau zu greifen.«
»Das ist gut zu wissen.« Ich sehe ihm in die Augen und hoffe, dass ich dort seine instinktive Reaktion auf das lesen kann, was ich als Nächstes sage. »Vielleicht sollten wir die Nacht gemeinsam in diesem Bett verbringen. Wenn wir morgen früh immer noch glücklich sind, kannst du mir die Frage stellen.«
Er lacht bellend auf. »Meine Güte! Warst du schon immer so?«
»Nein. Aber ich werde allmählich zu alt, um Zeit zu verschwenden.« Ein absurdes Bild von Special Agent Wendy Travis kommt mir in den Sinn:
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