Infernal: Thriller (German Edition)
hat. Jane Lacour.«
»Wie denn das?«, fragt John. »Soweit wir wissen, ist er seit Jahren nicht mehr in New Orleans gewesen.«
»Er hat nicht Jane ausgewählt«, flüstere ich. »Die Person auf dem Foto bin ich.«
22
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D ie Dammstraße über den Lake Pontchartrain ist die längste Brücke der Welt, die ausschließlich über Wasser führt. Siebenunddreißig Kilometer aus vibrierendem Beton und Verkehr wirken auf mich ein wie ein Mantra, stoßen mich in den dunklen Abgrund meiner Angst und meiner Schuld. Irgendwo auf der anderen Seite dieses flachen Sees, mitten in der explodierenden Siedlung, deren Ursache Stadtflucht aus New Orleans heißt, steht John Kaisers Haus. John sitzt neben mir im Beifahrersitz des gemieteten Ford Mustang. Er hat die Rücklehne ganz nach hinten gedreht, damit er sein verwundetes Bein ausstrecken kann.
Dreißig Sekunden nachdem er auf der Rückseite des Fotos die Nummer von Christopher Wingate las, brach er in der Einfahrt zum Haus von Mrs Pitre zusammen. Sein Bein gab einfach nach. Baxter wollte ihn wieder ins Krankenhaus schicken, doch John widersprach. Er sei nur müde, er hätte die Krücke benutzen sollen, und er müsse zurück ins Büro, um den neuen Verbindungen zwischen dem Killer, Wingate und Marcel de Becque nachzugehen. Baxter bot ihm zwei Möglichkeiten an: zurück ins Krankenhaus oder nach Hause fahren und eine Nacht lang ausschlafen. John entschied sich für Letzteres, doch als wir bei der Niederlassung ankamen, um meinen Mustang zu holen, rief er schnell im Büro an und ließ sich von einem Agenten einen dicken Ordner nach unten auf den Parkplatz bringen. Der Ordner war voll gestopft mit den neuesten vom Argus-Programm errechneten Bildern der abstrakten »Schlafenden Frauen«. John ist genau so, wie ich es früher war, wenn ich mich in eine Story verbissen hatte – unaufhaltsam.
Das Bild, das er aus dem Beweismittelbeutel gezogen hat, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Es schwebt vor meinem geistigen Auge wie ein graustufiges Emblem meiner Schuld. Ich weiß inzwischen, woher das Foto stammt. Es war vor zwei Jahren in mehreren Zeitungen abgebildet, als ich den North American Press Association Award gewonnen hatte. Wingate muss Zugang zu einer Datenbank mit meinem Foto gefunden haben. Er hat es heruntergeladen, auf Fotopapier ausgedruckt und zu dem Killer nach New Orleans geschickt.
»Willst du reden?«, fragt John. Er streckt die Hand aus und berührt mein Knie.
»Ich weiß nicht.«
»Ich weiß, was du denkst, Jordan. Ein paar Schuldgefühle, weil man überlebt hat, sind völlig normal, aber das ist verrückt! Du zwängst alles in ein Schema, das du von vornherein festgelegt hast. Und das Resultat lautet, dass Jane für dich gestorben ist. Ich weiß nicht, warum du dir unbedingt diese Schuld aufladen willst, aber so ist es nun einmal nicht.«
Ich umklammere das Lenkrad mit weißen Knöcheln und versuche mich zu beherrschen. »Ich will mir keine Schuld aufladen!«
»Das freut mich zu hören. Weil es nämlich wirklich völlig dämlich wäre.«
Ich umklammere das Lenkrad noch fester, um meinen Zorn unter Kontrolle zu halten, doch es nutzt nichts. »Rufst du bitte an und fragst, ob sie die Handschrift verglichen haben? Wenn es nicht die von Wingate ist, gebe ich zu, dass ich paranoid bin. Aber falls es Wingates Schrift ist, dann wissen wir, dass der Killer das Foto von Wingate haben muss.«
John zieht sein Mobiltelefon hervor und wählt die Nummer der Niederlassung, dann lässt er sich mit der Spurensicherung verbinden.
»Hallo Jenny, John Kaiser hier. Habt ihr bereits Nachricht aus New York wegen der Schriftprobe? ... Was haben sie gesagt? ... Ich verstehe. Kein Irrtum möglich? ... In Ordnung, danke.« Er beendet das Gespräch, dann lässt er den Kopf nach vorn sinken und seufzt.
»Was ist?«
»Die Telefonnummer auf deinem Bild. Es ist Wingates Schrift.«
Mein Magen verknotet sich, und ich hämmere mit der freien Hand auf das Lenkrad. »Da hast du es! Irgendjemand von außerhalb hat mich als Opfer Nummer fünf ausgesucht, und Jane wurde ermordet.«
Er beißt sich auf die Unterlippe und schüttelt den Kopf. »Wenn ich mich auf jemanden festlegen müsste, würde ich sagen, es war Marcel de Becque.«
»Was, wenn er mich bestellt hat, John? Wie man irgendein x-beliebiges Bild bei einem Künstler bestellen würde? Er weiß seit Jahren, wer ich bin. Er sagt Wingate, dass er mich auf dem nächsten Bild haben will, aber weil ich ständig auf Reisen bin, entdeckt
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