Infernal: Thriller (German Edition)
seine Schuldgefühle und sein Abscheu vor sich selbst aufgefressen, vielleicht war sein Wunsch, mich zu töten, so mächtig, dass sich die Krankheit manifestiert hat. Die Schwere meiner Krankheit schwankt, je weiter sie voranschreitet, und mir fiel auf, dass sie immer dann besonders schwer war, wenn Roger die Kontrolle hatte. Dann startete er aktiv den Versuch, mich zu ermorden, mit Frank Smiths Hilfe. Mit Insulin. Wissen Sie, was ich daraus schloss? Dass es Risse in der Mauer gab, die uns trennten. Dass er anfing, in mein Bewusstsein zu sehen. Und genau zu diesem Zeitpunkt kamen Sie in mein Leben. Das genaue Ebenbild einer Frau, die ich bereits gemalt hatte. Einer Frau, die tot war. Und doch standen Sie vor mir – ihre andere Hälfte – und erfreuten sich bester Gesundheit. Da wusste ich es. Ich hatte eine neue Vision, und dieses Bild war ein Teil von ihr. Ich musste mich retten.«
Ich starre ihn sprachlos aus der dampfenden Badewanne an. Die Komplexität seiner Wahnvorstellungen ist atemberaubend. Geboren im Kopf eines missbrauchten Kindes, sind sie gewachsen und erblüht im Schmelztiegel der Furcht eines sterbenden Künstlers vor dem Tod.
»Sind Sie ... Ich meine, hat es funktioniert? Sind Sie geheilt?«
»Es geschieht, jetzt in diesem Augenblick. Ich kann es spüren. Das Atmen fällt mir viel leichter. Meine Gelenke sind nicht mehr so steif.«
»Aber Sie tragen immer noch Ihre Handschuhe.«
Ein angespanntes Lächeln. »Meine Hände sind zu wichtig, um ein Risiko einzugehen. Außerdem ist mein Kreislauf angegriffen. Das braucht Zeit zum Heilen.« Er blickt hinauf zum dunkler werdenden Himmel. »Ich will, dass Sie jetzt schweigen. Das Licht ist fast weg.«
»Ich werde schweigen. Aber da ist eine Sache, die ich nicht verstehe.«
Er runzelt die Stirn, doch ich dränge weiter. »Sie haben gesagt, Sie hätten die Frauen getötet, die Sie gemalt haben, um sie von ihrer Not zu befreien. Um ihnen ein Leben voll Schmerz und Ausbeutung zu ersparen. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Und doch wurde jede einzelne der ›Schlafenden Frauen‹ vor ihrem Tod vergewaltigt. Wie können Sie hier stehen und behaupten, dass Sie die Frauen vor Qualen bewahrt hätten, wenn Sie ihnen gleichzeitig das Schlimmste zugefügt haben, das eine Frau neben dem Tod erfahren kann?«
Wheaton hat aufgehört zu malen. Seine Augen funkeln vor Empörung und Konfusion. »Was reden Sie da?«
»Conrad Hoffman. Bevor er starb, hat er mir die Pistole an den Kopf gehalten und mir gesagt, dass er mich vergewaltigen würde. Er hat gesagt, selbst wenn er mir in den Rücken schießen müsste, wäre es zwischen meinen Beinen immer noch hübsch und warm.«
Wheatons Augen verengen sich zu Schlitzen. »Sie lügen!«
»Nein.«
»Wahrscheinlich hat er nur versucht Sie einzuschüchtern, damit Sie in den Wagen steigen.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich habe seine Augen gesehen. Ich habe seine Berührung gespürt. Ich bin schon einmal vergewaltigt worden. Ich weiß, wie die Augen eines Vergewaltigers aussehen.«
Ein eigenartiger Ausdruck von Mitgefühl erscheint auf dem langen Gesicht. »Sie wurden vergewaltigt?«
»Ja. Aber darum geht es nicht. Die letzte Frau, die entführt wurde – vor Thalia, meine ich. Die Frau, die vor dem Dorignac-Supermarkt entführt und tot in den Kanal geworfen wurde – der Leichenbeschauer hat Sperma in ihrer Vagina gefunden.«
Sein Kopf zuckt zurück, als würde er einem Hieb ausweichen.
»War es Ihr Sperma?«, frage ich leise.
Wheaton wirft seinen Pinsel hin und macht zwei Schritte auf mich zu. »Sie lügen!«
Wäre ich besonnen, würde ich jetzt schweigen, doch vielleicht liegt meine Rettung in der Wurzel dieses Paradoxons. »Das FBI ist ganz sicher, dass Sie die Frau vom Dorignac ermordet haben. Das FBI hat den Zeitpunkt von Wingates Tod korreliert, und es weiß, wann Hoffman von New York abgeflogen ist. Hoffman kann sie also nicht entführt haben.«
Wheaton schnauft jetzt wie ein Kind mit Asthma. »Ich habe sie entführt, zugegeben, aber ...« Er steht mit offenem Mund da, unfähig weiterzusprechen.
Er glaubt wirklich, dass er diese Frauen erlöst hat, indem er sie getötet hat. Doch ich kann ihn nicht schonen. Irgendwo tief in diesen geistesgestörten Augen ist das sanfte Wesen des Künstlers verborgen, den ich zu Beginn dieser Woche kennen gelernt habe.
»Helfen Sie mir zu verstehen«, bitte ich ihn. »Ein Mann, der ein zwölf Jahre altes Mädchen in Vietnam davor bewahrt, vergewaltigt zu werden, macht eine
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