Infernal: Thriller (German Edition)
Frauen‹ sehe. Nur, dass es keine asiatischen Frauen sind, sondern abendländische.«
»Das ist interessant«, sagt Kaiser. »Diese Interpretation habe ich bisher noch von niemandem gehört.«
De Becque legt den Zeigefinger an den Augenwinkel. »Jeder hat Augen, junger Mann, aber längst nicht jeder kann sehen.«
»Sie wissen, dass wenigstens eines der Modelle auf diesen Bildern vermisst wird und wahrscheinlich tot ist?«
»Ja. Die Schwester dieser armen Frau hier.«
»Und was empfinden Sie dabei?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe.«
»Moralisch, meine ich. Was empfinden Sie angesichts der Tatsache, dass möglicherweise junge Frauen sterben müssen, um diese Bilder zu erschaffen?«
De Becque wirft Kaiser einen widerwilligen Blick zu. »Ist diese Frage ernst gemeint, mon ami ?«
»Ja.«
»Was für eine typisch amerikanische Frage. Sie haben in einem Krieg gekämpft, der achtundfünfzigtausend Ihrer Landsleute das Leben kostete, ganz zu schweigen von einer Million Asiaten. Und was wurde mit diesen Menschenleben anderes erkauft außer Elend?«
»Das hat nichts mit diesem Thema zu tun.«
»Sie irren sich. Wenn neunzehn Frauen sterben, um unvergängliche Kunstwerke zu erschaffen, dann ist der Preis historisch betrachtet niedrig. Lächerlich niedrig sogar.«
»Es sei denn, man hat eine dieser Frauen geliebt«, sage ich leise.
»Ganz recht«, räumt de Becque ein. »In diesem Fall sieht die Sache anders aus. Ich wollte Monsieur Kaiser lediglich verdeutlichen, dass viele Unternehmungen mit dem Wissen begonnen werden, dass sie Menschenleben kosten. Brücken, Tunnel, pharmazeutische Tests, geografische Erkundungen und selbstverständlich Kriege. Und keine einzige dieser Unternehmungen besitzt auch nur annähernd die gleiche Bedeutung wie Kunst.«
Kaisers Gesicht läuft rot an. »Wenn Sie mit Bestimmtheit wüssten, dass Frauen ermordet wurden, um diese Gemälde zu erschaffen, und wenn Sie außerdem wüssten, wer sie gemalt hat – würden Sie den Täter den Behörden melden?«
»Glücklicherweise befinde ich mich nicht in dieser vertrackten Situation.«
Kaiser seufzt und stellt sein Weinglas ab. »Warum wollten Sie Ihre Gemälde nicht nach Washington senden, damit wir sie dort untersuchen können?«
»Ich bin ein Flüchtling, wie Sie sehr wohl wissen. Ich vertraue Regierungen nicht, insbesondere der amerikanischen. Ich hatte in Indochina viel mit Ihrer Regierung zu tun, und ich wurde jedes Mal aufs Neue enttäuscht. Ich empfinde die amerikanischen Volksvertreter als naiv, sentimental, scheinheilig und dumm.«
»Das ist starker Tobak aus dem Mund eines Schwarzhändlers.«
De Becque lacht. »Sie hassen mich, junger Soldat? Weil ich auf dem Schwarzmarkt Geschäfte gemacht habe? Sie könnten genauso gut den Regen oder Kakerlaken hassen.«
»Ich bin kein Freund der Franzosen, so viel steht fest. Ich habe gesehen, was Sie in Vietnam getan haben. Sie waren weit schlimmer als wir.«
»Wir waren brutal, zugegeben, doch nur in kleinem Maßstab. Die amerikanische Infanterie hat Schokolade verteilt, während ihre Luftwaffe Zehntausende von Zivilisten umbrachte.«
»Sie waren glücklich, als die amerikanische Luftwaffe das Gleiche in Deutschland gemacht hat.«
»Das führt doch zu nichts«, unterbreche ich die beiden und werfe Kaiser einen mahnenden Blick zu. Nach Jahren der Reisen um die Welt habe ich gelernt, Unterhaltungen wie diese zu vermeiden. Die meisten Europäer begreifen den amerikanischen Standpunkt nicht, und selbst wenn sie es tun, verdammen sie ihn lautstark. Hinter dieser Inbrunst liegt im Grunde genommen, so glaube ich, nackte Eifersucht, aber mit ihnen zu argumentieren führt zu nichts. Ich hatte eigentlich gedacht, Kaiser wüsste das.
»Sie haben mich jetzt in Fleisch und Blut gesehen«, sage ich zu de Becque. »Was sagen Sie?«
Er blinzelt mich aus seinen blauen Augen nach Art eines Maurice Chevalier an. »Ich würde Sie allzu gern au naturel sehen, chérie . Sie sind ein Kunstwerk.«
»Würde nackt reichen? Oder wäre Ihnen nackt und tot lieber?«
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich bin ein Wüstling. Ich genieße das Leben. Doch der Tod ...«, er hebt sein Glas zu einem schweigenden Toast, »... der Tod ist unser ständiger Begleiter.«
»Haben Sie das Bild meiner Schwester in Auftrag gegeben?«
Sein Humor verblasst. »Nein.«
»Haben Sie versucht, es zu kaufen?«
»Ich hatte nie eine Chance. Ich habe es nie zu Gesicht bekommen.«
»Würden Sie sie erkannt
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