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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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beschrieb. Der Zug ratterte nur über eine einzige Brücke, eine hohe Hängebrücke, die über einen anderthalb Kilometer breiten Fluss in der Farbe von Brackwasser führte.
    »Der Styx«, erklärte Via. »Er umgibt die gesamte Stadt.« Und Xeke ergänzte zuckersüß: »Alle Abwässer, der Müll und die Abfälle werden hier hineingeleitet. Abfall ist unsere wichtigste Ressource, noch wichtiger als Schwefel.«
    Was sie sah, ließ Cassie den Atem stocken. Wasserfahrzeuge in allen Größen und Formen – vom Kanu bis zum Frachtkahn – kreuzten über die dampfende Jauche des Flusses. Fischer zogen Netze ein, in denen es von scheußlichen Kreaturen nur so wimmelte; sie sollten später auf dem Markt verkauft werden. Hummerfallen wurden an Bord gehievt, doch die krebsartigen Lebewesen darin waren kaum als solche zu erkennen. Körperteile und die unterschiedlichsten menschlichen und weniger menschlichen Organe trieben auf dem unbeschreiblichen Fluss, und auch diese wurden eifrig geerntet.
    Cassie machte plötzlich einen Satz: Eine mindestens dreißig Meter lange Schlange mit martialischem Gebiss tauchte in aller Seelenruhe auf und verschlang einen schlauchbootgroßen Gegenstand.
    Nur Sekunden später verkrampfte sich ihr Magen erneut, als sie erneut eine Schlange direkt unter der Wasseroberfläche entdeckte – nur war diese mindestens dreihundert Meter lang.
    »Sie hält sich nicht besonders gut«, bemerkte Via.
    Xeke pflichtete ihr bei. »Du kannst beim Pogrom Park aussteigen, das ist der erste Halt auf dieser Linie. Du musst sicher nicht lange warten, bevor der nächste Zug zurückfährt. Du steigst einfach wieder an der Station von vorhin aus und gehst zurück nach Hause.«
    »Ich soll allein zurück nach Hause gehen?«, wandte Cassie ein.
    »Hush bringt dich hin. Aber Via und ich müssen unbedingt in die Stadt, wir müssen essen. Wir haben ziemlich lange nichts bekommen.«
    »Ich habe doch Essen im Haus«, sprudelte Cassie hervor. »Ihr könnt haben, was ihr wollt.«
    »Wir können aber nur die Lebensmittel in dieser Welt essen, Cassie«, erklärte Via.
    Ich muss zurück , dachte Cassie. Die Übelkeit wurde immer schlimmer; lange hielt sie das nicht mehr aus. Wieder übergab sie sich beinahe, als sie versehentlich einen kurzen Blick aus dem Fenster warf und aufgedunsene Körper an den Pfeilern der Brücke baumeln sah. Flüssige Fäule lief in dicken Tropfen an ihnen herunter, dennoch war noch Leben in ihnen, und sie bewegten sich.
    Du lieber Gott! Ich muss unbedingt zurück!
    Andererseits …
    Dann werde ich Lissa niemals finden.
    Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen. »Ich will nicht zurück. Ich will in die Stadt.«
    »Das ist mutig von dir«, sagte Xeke. »Und weißt du was? Ich habe eine tolle Idee.«
    Cassie hatte keine Zeit nachzufragen, schon hörte sie die Stimme des Schaffners: »In wenigen Minuten erreichen wir die Stadtgrenze. Erster Halt Pogrom Park, Fahrgäste zum Kennedy Ghettoblock, Bathymdenkmal und unserer wunderschönen Flusspromenade bitte hier aussteigen. Umsteigemöglichkeiten zum City Center Nexus, Panzuzuallee und dem nagelneuen Baalzephon Einkaufszentrum, wo all Ihre Wünsche wahr werden.«
    »Hier müssen wir raus«, sagte Xeke.
    Cassie drückte Hushs Hand und zwang sich, aus dem Fenster zu blicken. Sie näherten sich nun rasch den nördlichen Rändern der Mephistopolis: Rauch umwaberte Wolkenkratzer, endlos und schnurgerade aufgereiht. Zwischen den Gebäuden entdeckte Cassie ein urbanes Labyrinth, das kein Ende zu nehmen schien.
    Als der Zug schnaufend stehen blieb, hielt Cassie den Kopf gesenkt; sie wagte es nicht, beim Aussteigen einen Blick in das gegenüberliegende Abteil zu werfen, in dem die Frau gerade den Dämon geboren hatte.
    Die Geräusche von dort zu hören, reichte ihr vollauf.
    »Ach, ich liebe diese frische Luft«, seufzte Xeke, als sie aus dem Zug stiegen.
    »Um ehrlich zu sein«, bemerkte Via, »ich finde wirklich, Newark war schlimmer.«
    Die Luft stank. Es fühlte sich an, als setzten sich Ruß und Schweiß direkt in den Nasenflügeln ab. Dennoch entdeckte Cassie – mal abgesehen von dem dunkelroten Himmel – nichts besonders Bemerkenswertes, als sie sich zum ersten Mal außerhalb des Zuges umsah. Oder zumindest war es nicht so grauenhaft, wie sie erwartet hatte. Als sie den Bahnsteig verließen, kamen sie zunächst an eine Art öffentlichen Platz mit Parkbänken, Bäumen, Rasenflächen und sich verzweigenden Bürgersteigen.

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