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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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dass du uns die Knochen mitgebracht hast und alles. Aber du willst auch etwas von uns, und wir wissen, was das ist.«
    Cassie erwiderte seinen Blick. Sie hatte es bisher noch nicht einmal sich selbst gegenüber bewusst eingestanden; doch sie wusste, dass er Recht hatte.
    »Wir sollen dir helfen, deine Schwester zu finden«, stellte Xeke fest. »Du willst sie finden und ihr sagen, dass es dir Leid tut, stimmt’s?«, fragte Via.
    Cassie sah auf ihre Füße. »Ja.«
    »Dann ist das jetzt dein Einsatz, Cassie«, sagte Xeke.
    Sie brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden. Mit einem Griff an das Medaillon verkündete sie: »Also dann los«, und alle gingen weiter den Hügel hinunter.

II

    »Vorsicht am Gleis vier, der Zug fährt gleich ab!«, dröhnte eine Stimme durch eine Art blechernes Megaphon. »Zusteigen in Richtung Pogrom Park, Pilatus Station, Edward-Kelly-Platz!«
    Ein kreischendes Pfeifen hallte durch aufsteigenden, nach Rost riechenden Dampf. Cassie lief hinter den anderen her durch den offenen Bahnhof, der am Fuß des lang gezogenen Hügels erbaut worden war. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht: Bahnsteige aus Eisengittern, die Überdachung auf Säulen ruhend. Ein verblasstes Schild schwang in der Luft:

TIBERIUS DEPOT (ÄUSSERER SEKTOR SÜD)

    Cassie hatte nicht viel Zeit, die Einzelheiten zu betrachten, doch sie konnte sehen, dass niemand außer ihnen am Bahnsteig stand. Der Zug selbst sah aus wie aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert – alte hölzerne Passagierabteile, gezogen von einer Dampflok. Auf dem Maschinenwagen befand sich ein hoher Kohletender; allerdings waren die schmutzig gelben Brocken, die zum Befeuern benutzt wurden, eindeutig keine Kohle. Ein Mann stand oben am Tender und schaufelte die Brocken auf eine Rutsche. Zunächst kam er ihr ganz normal vor, er trug einen Arbeitsoverall und eine Segeltuchkappe. Er hielt einen Moment inne, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, und in diesem Moment sah er zu Cassie hinüber.
    Der Mann hatte keinen Unterkiefer – als sei er ihm abgerissen worden. Nur eine obere Zahnreihe, unter der eine Zunge aus dem offenen Hals hing.
    »Alles einsteigen!«
    »Beeil dich!«, drängte Xeke.
    Jetzt rannten sie. Hush zog Cassie verzweifelt hinter sich her, während der Zug unter Keuchen und Husten langsam loszuckelte. Der Dampf roch Ekel erregend.
    Sie zogen sich gerade noch rechtzeitig am Griff der offenen Tür hoch; sie schloss sich genau in dem Moment, als Cassie ihren Fuß hereinzog. Eine Sekunde später, und er wäre ab gewesen.
    »Suchen wir uns ein anständiges Abteil«, meinte Xeke und ging voraus. Hölzerne Schiebetüren mit breiten Scheiben säumten den Gang. Xeke warf einen Blick in das erste Abteil, runzelte die Stirn und sagte: »Nein.« In dem Abteil saß ein Mann, dessen Gesicht von großen Tumoren entstellt war. Cassie war sich nicht ganz sicher, aber ihr schien es, als hätten die Tumoren Augen, und eines davon blinzelte ihr zu. »Vergiss es, Oma«, sagte Xeke im nächsten Abteil, in dem eine uralte Frau völlig nackt saß; die ledrige Haut hing in Falten an ihr herunter. Der graue Star hatte ihre Augen getrübt, und sie sabberte aus einem zahnlosen, offenen Mund. Diverse rote Flecken auf ihrer alten Haut schienen sich zu bewegen – bei näherem Hinsehen entdeckte Cassie, dass es Milben waren.
    »Rauchen ist ja so cool«, kommentierte Via.
    Eine morbide Neugier drängte Cassie, noch genauer durch die Scheibe zu sehen. Die Hände der alten Frau zitterten, als sie sich unbeholfen zwei Prisen Tabak in die Nasenflügel stopfte. Sie zündete sie mit einem Streichholz an und inhalierte.
    O Mann, das ist ja so was von ekelhaft .
    Ins nächste Abteil warf sie nur einen flüchtigen, furchtsamen Blick. Ein kleiner Dämon in zerlumpten Kleidern und mit schuppiger gelber Haut urinierte lustlos in die Ecke. Doch der wurzelartige Penis hatte zwei Eicheln in der Größe von Pflaumen, und der Urin war eine dampfende Mischung aus Blut und winzigen Würmern.
    »Warte nur, bis du ihn einen Haufen machen siehst«, bemerkte Xeke leichthin.
    »Ich kotze gleich«, tobte Cassie. »Besorg uns endlich einen vernünftigen Sitzplatz!«
    Glucksend fand Xeke endlich ein leeres Abteil. Cassie ließ sich auf die Holzbank fallen, knallte die Abteiltür zu und holte tief Luft.
    »Ganz ruhig«, sagte Via.
    »O mein Gott, o mein Gott!«, stieß sie hervor, kurz davor zu hyperventilieren. »Dieser Ort ist ja grauenhaft!«
    Xeke setzte sich neben Via und legte ihr die

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