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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Eine riesige Statue inmitten eines Brunnens stand auf dem Platz, Fußgänger drängten sich auf den Wegen.
    Mit anderen Worten: Es sah ganz normal aus, wie in jeder anderen großen Stadt. Doch dann sah Cassie genauer hin.
    Die Bäume waren verdreht und deformiert; Gesichter schienen in die verdorrte Rinde eingeprägt zu sein. Der Rasen und auch das Laubwerk der Bäume waren nicht grün, wie man erwartet hätte, sondern kränklich gelb. Viele der »Fußgänger«, die sich auf den Wegen drängten, wiesen eine Reihe von Verunstaltungen auf, Auszehrung, Zeichen unermesslichen Elends; und manche waren nicht einmal menschlich. Es gab Trolle, Dämonen und groteske Hybride. Der »normale« Brunnen in der Mitte des Platzes spuckte Blut aus, und die Statue in der Mitte war Josef Stalin nachempfunden, einem Mann, der Millionen seiner eigenen Landsleute hatte verhungern lassen.
    Als Cassie nach unten sah, bemerkte sie, dass der Beton des »normalen« Bürgersteigs mit Knochenfragmenten und Zähnen gespickt war.
    »Willkommen in der Mephistopolis«, sagte Xeke.
    Cassie war dankbar, dass die Übelkeit sie wenigstens etwas ablenkte. Das hielt sie davon ab, sich auf die Einzelheiten ihrer neuen Umgebung zu konzentrieren. Hush führte sie an der Hand – eine zierliche Reiseführerin in Schwarz -, vor ihnen liefen Via und Xeke. Als sie an ein paar Obdachlosen vorbeikamen, die um Geld bettelten, scherzte Xeke: »Sind wir aus Versehen in Seattle ausgestiegen?« Doch die schon halb verrotteten Obdachlosen waren klauenbewehrte, gehörnte Kreaturen, die sich gegenseitig das Ungeziefer aus den verseuchten Lumpen pflückten und es aßen.
    Stinkende Rauchschwaden wehten vom Wasser herüber, als sie auf die sorgfältig angelegte Promenade bogen. Sie war hoch, ohne Geländer und gefährlich schmal.
    Das Erste, was Cassie sah, war eine Gruppe teuflischer Kinder, die einen alten Mann angriffen und ihm mit einem Haken den Bauch aufschlitzten. Zwei der abstoßend hässlichen Wesen schubsten den alten Mann von der Promenade, das dritte rannte mit seinen Eingeweiden davon.
    »Höllengezücht«, erklärte Xeke. »So ähnlich wie Teenagergangs in der Welt der Lebenden – richtige kleine Scheißer.«
    »Es gibt hier keine menschlichen Kinder«, sagte Via. »Aber es gibt mehrere Dutzend unterschiedliche Dämonenrassen. Die vermehren sich wie die Karnickel, selbst die Hierarchen hassen sie. Die Vernichtungstrupps sind da auch keine große Hilfe.«
    Cassie versuchte, halb würgend eine Frage zu stellen: »Warum ist der eine …«
    »Mit den Innereien des Opas weggelaufen?«, beendete Xeke den Satz. »Um sie an die Anthropomanten oder Extipizisten zu verscherbeln. Die lesen aus Eingeweiden die Zukunft und schicken dann über Boten Berichte an Luzifer. Wahrsagen ist die wichtigste Freizeitbeschäftigung in der Stadt – der Motor unserer Wirtschaft. Es gibt zig-tausend Wahrsagebüros in der Stadt.«
    »Rauchorakel stehen sogar noch höher im Kurs«, ergänzte Via. »Ist angeblich exakter, und es ist leichter, immer nur kleine Stücke zu verkaufen.«
    Kleine Stücke? , dachte Cassie. Sie fragte nicht weiter.
    Sie gingen an Ladenlokalen vorbei: Alchemisten, Handleser, Medien. »Das meiste ist Abzocke«, verriet Xeke. »Der Großteil davon ist illegal – außer an dem Ort, wo wir jetzt hingehen.«
    Aber wo gingen sie denn hin?
    »Das gibt’s doch nicht!«, beschwerte Via sich lautstark, als sie ankamen. Ein Schild über dem Geschäft informierte: SHANNONS APOTHEKERBEDARF & AMULETTE: CASH, TAUSCH ODER PHLEBOTOMIE.
    »Dauert nur eine Minute«, versicherte Xeke. »Ich schätze mal, ein Verhältnismäßigkeitselixier wird Cassie helfen, sich an alles zu gewöhnen.«
    »Aber wir haben kein Bargeld«, erinnerte Via, »und mit den Knochen müssen wir äußerst vorsichtig umgehen. Wenn du damit einfach wild um dich wirfst, dann haben wir bald die Constabler am Hals. Die lassen uns steckbrieflich suchen!«
    »Entspann dich mal. Ich heb mir die Knochen für den Geldwechsler auf.« Und schon marschierte er in den Laden.
    Via schien wütend zu sein; Cassie und Hush folgten ihr hinein.
    Eine Kristallglocke ertönte, und unmittelbar fand sich Cassie von exotischen Düften umgeben. Das Geschäft bestand überwiegend aus alten, windschiefen Regalen voller Fläschchen und Tiegel. »Erinnert mich an diese kitschigen Voodoo-Läden in New Orleans«, meinte Cassie.
    »Das hier ist kein verdammter Voodoo-Laden«, entgegnete Via gereizt.
    Eine gut gelaunte junge Frau stand hinter

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