Inferno
ein Klumpen Lehm in einem Brennofen. Doch als sie schon fürchtete, ohnmächtig zu werden – und damit auf den kochend heißen Fußboden zu sinken -, hielt die U-Bahn endlich an, und die anderen halfen ihr hinaus. Cassie schenkte den amputierten Bettlern, die mühsam auf ihren Stumpen über den Bahnsteig humpelten, keine Beachtung, auch nicht der Horde Höllengezücht, die mit Brechstangen auf eine Trollin einschlugen. Erst, als der Aufzug sie nach oben in einen offenen Park brachte, regten sich ihre Lebensgeister wieder. Eine Statue von Lizzie Borden mit einer Axt begrüßte sie oben auf der Straße. Es schien hier dunkler zu sein; lange, gedrehte Äste an missgebildeten Zweigen über ihren Köpfen schirmten das ewige Zwielicht ab. Cassie bemerkte an einigen Bäumen fußballgroße Früchte in einer ungesunden Farbe.
Via zog sie plötzlich weg.
»Geh aus dem Weg«, sagte Xeke. »Mach ihn bloß nicht wütend.«
Cassie schrie beinahe auf, als sie auf das Ding hinabblickte, das da über den Bürgersteig kroch: ein großer, fleischiger Mund, einen knappen Meter hoch, der auf zwei menschlichen Beinen lief.
»Ein Dentaped«, stellte Via fest. »Von denen haben sie im Amt für Transfiguration tausende hergestellt, bevor das Projekt abgebrochen wurde. Zuerst wollte Luzifer eine ganze Armee von den Dingern, als Ergänzung der Mutilationstrupps.«
»Aber sie sind nicht besonders helle«, kicherte Xeke. »Die haben Schergen und Menschen gleichermaßen verdrückt.«
Die Zähne der Kreatur waren so groß wie Bücher, und die gewaltige Zunge hing heraus. Riesige Glubschaugen seitlich am Kopf sahen Cassie lüstern an.
»Und apropos Mutilationstrupps«, sagte Via. »Das hier solltest du auch wissen.«
An der Ecke stand ein Schild: STÄDTISCHE MUTILATIONSZONE.
Cassie blieb stehen, sie erinnerte sich. Sie erinnerte sich an ihren Traum.
»Das habe ich schon mal gesehen«, sagte sie. »Oder zumindest etwas in der Art.«
»In einem Albtraum?«
»Ja.«
Das ganze Gemetzel spielte sich noch einmal vor ihrem geistigen Auge ab, die Phalanx von Dämonen, die sich durch die dichte Menge drängten und zerstückelten, vergewaltigten, zerstörten.
»Diese Zonen sorgen dafür, dass es hier in der Gegend nicht zu öde wird«, sagte Via. »Ohne jede Warnung werden die Trupps in eine Zone nektoportiert und toben sich aus, nur so zum Spaß.«
»In einer Mutilationszone ist alles möglich«, fügte Xeke hinzu. »Aber keine Sorge; diese Straße haben sie erst vor kurzem heimgesucht. Vermutlich kommt sie nicht so bald wieder dran.«
Cassie bemühte sich, zuversichtlich an dem Schild vorbei in die Straße einzubiegen. »Was hast du gerade gesagt? Sie werden nektoportiert?«
»Das ist die fortgeschrittenste Form räumlicher Fortbewegung. Ein bisschen wie die Transportmethoden in Star Trek, nur dass die Magier im De-Rais-Labor psychische Energien aus ihren Folterfabriken abzapfen und als Treibstoff verwenden. Es ist dieselbe Art von Energie, wie sie in der Hölle statt Elektrizität verwendet wird, nur dass die Nektoports viel mehr Energie verbrauchen.«
Als sie mitten auf der Straße standen, fragte Cassie: »Diese Trupps könnten also jederzeit auf jeder Straße innerhalb der Mutilationszone auftauchen?«
»Mhm.«
»Auch genau auf dieser Straße hier?«
»Mhm.«
Mit klatschenden Flipflops rannte Cassie das letzte Stück über die Straße. Die anderen lachten und liefen ihr gemächlich hinterher.
»Und wohin gehen wir jetzt?«, fragte Cassie.
»Was futtern«, antwortete Xeke.
Der kurze Spaziergang war ausgesprochen angenehm, wenn man bedachte, dass dies die Hölle war. Straßencafés säumten die Bürgersteige und nebelten ihre Kunden mit grauenhaften Gerüchen ein. Ein Kellner bereitete frisch am Tisch ein Gericht auf einer rot glühenden Eisenplatte zu: Kleine Nagetiere hüpften quiekend auf der Platte herum, während sie in rauchendem Öl flambiert wurden. Espressomaschinen zischten und portionierten dampfendes Blut in zierliche Tässchen.
»Achtung«, sagte Xeke.
Einer nach dem anderen traten sie vorsichtig durch eine große Drehtür, wie man sie von noblen Hotels in Manhattan kannte – nur dass hier die Kanten der Tür aus messerscharfen Klingen bestanden. Getrocknetes Blut und Hautfetzen auf den Klingen zeigten, dass nicht alle so gut aufgepasst hatten.
Kurz darauf saßen sie an einem Tisch in einem, zumindest auf den ersten Blick, erstklassigen Restaurant. Das Alfred-Packer-Zimmer im Endzeit-Hotel.
»Das ist das beste
Weitere Kostenlose Bücher