Inferno
die Information in ihrem Gehirn an. Satan persönlich würde eine Großfahndung nach mir starten.
Bei dieser Vorstellung zog sich ihr der Magen zusammen.
»Du darfst deiner Schwester auf keinen Fall verraten, dass du anders als die anderen hier bist. Falls wir sie also finden, musst du sehr vorsichtig sein. Ich weiß, du willst sie sehen, und ich kann mir vorstellen, dass du vorher keine Ruhe gibst. Aber wir müssen ehrlich zu dir sein: Wie Via schon sagte, die Hölle verändert Menschen.«
»Möglicherweise gefällt dir die veränderte Lissa nicht besonders«, sagte Via. »Sie hasst dich vermutlich, sie könnte dich sogar angreifen.«
»Das ist mir egal«, erklärte Cassie. »Ich muss ihr nur sagen, dass es mir Leid tut.«
Das folgende Schweigen machte deutlich, dass ihre Freunde ihre Beweggründe nachvollziehen konnten. Einige einfache Dämonen und ein paar Menschen warteten an der Haltestelle. Ein Mann rauchte eine Zigarette, obwohl ihm der Brustkorb fehlte; aus schwarzen, vom Krebs zerfressenen Lungenflügeln kroch Rauch, als er inhalierte. Eine Frau im kurzen Tennisdress kratzte Schorf von ihrer nekrotischen Haut. Als Cassie den Bahnsteig hinuntersah, bemerkte sie unzählige zerquetschte Körper und Körperteile: Leute, die auf die Gleise geworfen worden waren.
Da näherte sich ein ohrenbetäubendes Dröhnen, begleitet von lautem metallischem Klappern und Kreischen. Die U-Bahn-Wagons, die am Bahnsteig einfuhren, sahen eher aus wie eine Prozession von eisernen Waschkesseln mit von Nieten umrandeten Bullaugen. Das schwarze Metall zischte vor Hitze. Als der Zug hielt, schubste ein Mensch in einem Ted-Bundy-T-Shirt einen verkrüppelten Dämon außen gegen den Wagon. Der Dämon heulte auf, sein Gesicht verbrannte an dem glühend heißen Eisen, und als er sich endlich wieder losgelöst hatte, blieb Haut am Wagon hängen.
»Wo setzen wir uns hin?«, fragte Cassie. Es gab keine Bänke im Wagon.
»Wir stehen«, erklärte Xeke. »Nimm die Handschlaufen. Die U-Bahn fährt durch die unterirdischen Feuer; es wird wahnsinnig heiß.«
»Wenn du dich setzen würdest«, meinte Via, »würde dir buchstäblich der Hintern wegkochen.«
Cassie schnappte sich eine der Schlaufen über ihrem Kopf, dann sah sie entsetzt auf ihre Füße. »Meine Flipflops schmelzen!«
Xeke und Via kicherten, während Hush Cassie zu sich zog, damit sie oben auf ihren Stiefeln stehen konnte. Dann begann die Wahnsinnsfahrt.
»Ich komme mir total idiotisch vor!«, rief Cassie verlegen. Sie hing halb an der Schlaufe und balancierte mit den Füßen auf Hushs Stiefeln, während Hush sie an der Taille umschlungen hielt.
»Es sind nur ein paar Minuten bis zum Boniface Square. Das wird dir gefallen, ist ein ziemlich angesagtes Stadtviertel, da ist ganz schön was los.«
Cassie runzelte die Stirn; sie war einigermaßen sicher, dass heute schon genug »los« gewesen war; sie mochte gar nicht daran denken, wie sie sich jetzt fühlen würde, wenn sie das Elixier nicht genommen hätte. Die U-Bahn ruckelte in regelmäßigen Abständen und schien mit phänomenaler Geschwindigkeit zu fahren. Bald wurde das Geräusch der klappernden Räder auf den Gleisen vollständig vom Geräusch lodernder Feuer erstickt. Ein Blick durch das Bullaugen-Fenster zeigte weiß glühende Flammen. Dann sah sie sich im Wagon um. Jemand hatte innen an die Decke ein Graffiti gesprüht:
Jesus rettet...er flankt den Ball zu Moses, der schießt und...
TOOOOR!
Und wie in jeder andern U-Bahn auch gab es Werbetafeln an den Seitenwänden. Eins zeigte ein Foto von einem grinsenden Dämonenkind, das einen Stein durch ein Fenster warf. SCHLIESSEN SIE SICH DER BEWEGUNG AN, HELFEN SIE, DIE HÖLLE VON DIESEN SKANDALÖSEN ZUSTÄNDEN ZU BEFREIEN. SPENDEN SIE FÜR DIE STIFTUNG
»TOD DEM HÖLLENGEZÜCHT«. Auf einem anderen war ein ernsthafter, in Mantel und Kapuze gekleideter Mann zu sehen, der eine Hand voll Edelsteine hochhielt: HABEN
SIE ES AUCH SATT, DASS POLTERRATTEN IHNEN DAS FLEISCH VON DEN KNOCHEN FRESSEN? NASE VOLL VON BAPHO-SCHABEN, DIE IHRE EIER UNTER IHRER HAUT ABLEGEN? RUFEN SIE DIE PIP BOYS! DIE BESTEN KRISTALLOGISCHEN SCHÄDLINGSBEKÄMPFER DER STADT!
Und noch eines: UNGEWOLLT SCHWANGER VON EINEM DÄMON? GENUG VON GESCHREI, WINDELN WECHSELN UND DRECK? WIR ZAHLEN BAR FÜR IHRE BABYS! WARUM NOCH ZÖGERN? BESUCHEN SIE DOCH EINE STÄDTISCHE WERTSTOFFANLAGE IN IHRER NÄHE. JA, GENAU! BARGELD FÜR DIE HÄSSLICHEN KLEINEN BIESTER!
Die Hitze war unerträglich; Cassie fühlte sich wie
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