Inferno
Restaurant aller menschlichen Stadtteile«, erklärte Xeke. »Endlich haben wir mal genug Geld, hier zu essen.«
Ein Aushilfskellner in Weste mit weißen Warzen auf dem ganzen Gesicht füllte höflich ihre Gläser mit Wasser. Leider war das Wasser offenbar voller Rost. Cassie bemerkte, dass in den Eiswürfeln Maden eingefroren waren. »Fast alle Vorspeisen sind mit Menschenfleisch, aber nicht mit diesem durch den Wolf gedrehten Zeug, das aus den Wertstoffanlagen kommt«, stellte Via begeistert fest.
»Ich werde auf gar keinen Fall Menschenfleisch essen!«, flüsterte Cassie empört über den Tisch.
»Das ist nicht wie Kannibalismus in der Welt der Lebenden, Cassie.« Via studierte eine glänzende schwarze Speisekarte mit goldenen Quasten am Rücken. »Hier ist das einfach nur … Fleisch. Ein alltägliches Nahrungsmittel.«
Xeke grinste. »Und es schmeckt fast genau wie Hühnchen.«
Nicht einmal das Verhältnismäßigkeitselixier konnte hier helfen. »Bitte«, flehte sie. »Esst das nicht! Nicht, wenn ich dabei bin!«
»Ich denke, der Anstand gebietet, dass wir ihr den Gefallen tun.« Xeke fuhr mit dem Finger die Speisekarte hinunter. »Hmm, mal sehen.«
Eine wohlgeformte Kellnerin in schwarzer Hose und einer hübschen weißen Bluse mit Puffärmeln bediente sie; allerdings sah ihr Gesicht eingedrückt aus, als sei es mit einer Keule bearbeitet worden.
»Wir nehmen als Vorspeise eine Portion Caco-Krebsinnereien nach Rangun-Art«, bestellte Xeke, »einmal die Filets vom Nieder-Wurm in Senf-Sauerampfersoße und die scharfe kreolische Gargoyle-Leberpâté auf Toastspitzen.«
Als Hauptgang orderte Xeke Dämonengehirn-Flambee mit Pesto-Lungenpüree, Via entschied sich für Troll Wellington au Jus mit gebackenen Sumpfäpfeln, und Hush nahm Abwasserfisch-Sushi und dazu eine Abyssus-Aal-Tempura mit eingemachtem Ingwer.
»Na, zufrieden?«, fragte Xeke Cassie. »Kein Bissen Menschenfleisch.«
»Vielen Dank.«
»Aber du hast keine Ahnung, was du verpasst. Menschenrippchen sind um Längen besser als Spareribs.«
»Ich werde dran denken, wenn ich das nächste Mal essen gehe.«
»Was nimmst du, Cassie?«, fragte Via. »Gemüse? Die Teufelsplantains sind großartig. Man frittiert sie in Gargoyleschmalz. Schmeckt besser als Pommes bei McDonald’s, ohne Witz.«
Die nicht enden wollende Aufzählung kulinarischer Absurditäten erschöpfte Cassie. »Für mich nichts, danke. Ich habe heute meinen Fastentag.«
Das »Essen« kam und roch unbeschreiblich; aber wenigstens war es hübsch angerichtet. Cassie wandte die Augen ab, als ihre Begleiter speisten, und als Xeke im Scherz fragte, ob jemand noch eine Nachspeise wolle, rief sie entsetzt: »Bitte nicht! Ihr hattet genug!« Er zahlte und gab der Kellnerin einen Nerodollar als Trinkgeld mit den Worten: »Wir haben Sei nett zu deinem Spiegel -Woche. Gönn dir mal ein neues Gesicht, Schätzchen.«
»Vielen Dank, mein Herr«, murmelte sie zwischen ihren Zahnfragmenten hindurch.
Der Portier im roten Frack, ein wohlerzogener Imp, nickte ihnen zu, als sie das Restaurant verließen. Der Eingangsbereich des Hotels sah genauso protzig aus wie die Fünf-Sterne-Schuppen in Washingtons Geschäftsviertel; der lange Baldachin und der rote Teppich ließen Cassie beinahe vergessen, dass sie wirklich in der Hölle war. Bis eine Schar Bettler die vier umringte. Menschen und Dämonen in fortgeschrittenen Stadien von Auszehrung zupften an ihren Kleidern und hielten ihnen angenagte und verfaulte Hände hin. Cassie bemerkte, dass vielen Ohren, Augen, Finger oder auch ganze Hände fehlten: Stückchen, die sie sich selbst abgeschnitten und an die Wahrsager verkauft hatten.
»Verzieht euch!«, herrschte Xeke sie an und schubste sie weg. Sie kreischten und fluchten, ließen aber schließlich von ihnen ab.
Cassies erste Reaktion war Mitleid. »Kannst du ihnen nicht etwas Geld geben? Wir haben doch genug.«
Via erklärte es ihr. »Das sind Zap-Junkies, Cassie. Sie sind selber schuld.«
»Nur Schwachköpfe nehmen Drogen, vor allem in der Hölle.« Xeke wischte sich Schleim und Dreck von der Lederjacke. »Zap ist die hiesige Version von Heroin. Es ist eine Mischung infernaler Kräuter, die im Urin von Dämonenfürsten gekocht und dann in Destillationsbottichen zu einer Paste verdickt werden. Die Körperausscheidungen von Hierarchen aller Art sind von größtem Wert.«
Via fügte hinzu: »Es gibt in keiner Welt eine Substanz, die schneller süchtig macht als Zap. Ein einziger Schuss und du hängst
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