Inferno
Schmerzzentren im Gehirn, und diese Impulse werden dann in Energie umgewandelt, die wiederum von all diesen Kondensatoren weiterverarbeitet wird. Ein bisschen Zauberkunst fließt auch mit ein, eine Art elektrischer Alchemie. Die Qualen, die der arme alte Trottel erleidet, werden in Energie für den Stadtbezirk verwandelt. Und da ein Mensch in der Hölle nicht sterben kann …«
Den Rest konnte sich Cassie denken. Sie versorgen die gesamte Stadt mit Strom, der aus menschlichem Schmerz gemacht wird, und die Energiequelle kann nicht sterben.
»Agonizität«, wiederholte Xeke. »Theoretisch unerschöpflich.«
»Heißt das, sie quälen diesen armen Mann in alle Ewigkeit?«
»Na ja, nicht für immer. Wahrscheinlich nur hundert Jahre oder so. Dann holen sie sich einen frischen Menschen und fangen von vorne an. In der Hölle ist die Agonie ein Produkt, und Schmerz ist eine Energiequelle.«
Cassie riss ihren Blick los; die gellenden Schreie verblassten. Sie hatte genug gesehen.
Mit jedem neuen Anblick bestätigte sich das reine Böse dieses Ortes noch weiter. Ausbeutung wurde hier bis zur Vollendung gebracht.
Es machte sie wütend.
Sie gingen wieder zu Via und Hush, die an der Attilastraße auf sie gewartet hatten. Lissa , schoss es Cassie durch den Kopf. Sie versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. »Wann werden wir …«
»Bald«, versicherte Xeke. »Der S&N Club ist auf der anderen Seite des Square. In der Herodesgasse.«
»Na gut, dann los«, doch als Cassie über die Straße gehen wollte, hielt Xeke sie am Arm fest. Hush sah überaus traurig aus, als sie auf den heruntergekommenen Park zeigte. Die Polterratten huschten eilige davon, und merkwürdige Vögel mit Fangzähnen erhoben sich in schwarzen Schwärmen aus den Bäumen. Das Bild erinnerte Cassie daran, dass Vögel und andere Tiere oftmals einen aufziehenden Sturm spüren konnten.
Die Luft stand vollkommen still.
»Das ist gar nicht gut«, sagte Via.
»Stimmt«, bestätigte Xeke. »Das könnte ein …«
Da trat ein Mann, dessen Oberkörper aussah, als sei er böse zerkratzt worden, mitten auf die Straße, einen Sack in der Hand. Aus dem Sack zog er frisch gedruckte Höllendollars und warf sie mit vollen Händen in die übel riechende Luft. »Höllendollars!«, rief er. »Kommt und holt sie euch! Höllendollars für die Armen! Tausende von Dollars in Höllenscheinen!«
Die Scheine flogen hoch in die Luft und regneten dann wie Konfetti herunter. Innerhalb weniger Sekunden war die Straße voller Menschen, die Ärmsten der Armen – überwiegend menschliche Wesen – schrien durcheinander, krochen auf dem Boden herum und sammelten das Geld ein.
»Das ist eine Falle«, sagte Xeke.
Cassie verstand nicht. »Das ist doch nur ein Mann, der Almosen verteilt.«
Via deutete heftig auf das Schild:
STÄDTISCHE MUTILATIONSZONE
»Lauft!«, sagte Xeke.
Sie rannten los, Cassie immer noch verwirrt. Inzwischen war die Straße im wörtlichen Sinne in Aufruhr, als sich immer mehr in den verzweifelten Kampf stürzten.
Doch bevor Cassie und ihre Freunde entkommen konnten...
SsssssssssssssssssssssssssssssONK!
… hallte ein Furcht erregendes Geräusch durch die Luft. Es knackte in Cassies Ohren, wie in einem Flugzeug beim Landeanflug, und dann sah sie ein pulsierendes grünes Licht aufblitzen. Der Blitz schien zu einem stetigen, zitternden Fleck am einen Ende der Straße anzuwachsen, und dann bemerkte sie genau denselben Fleck noch einmal am anderen Ende. Die Flecken wurden größer, sie färbten alles mit ihrem unheimlichen grünen Leuchten ein.
»Nektoports!«, schrie jemand.
Zu spät. Innerhalb eines jeden Lichtflecks bildete sich eine Öffnung, und heraus stürmte ein Mutilationstrupp nach dem anderen. Gepanzerte Rekruten mit riesigen Fledermausflügeln führten Scharen von grimmigen Schergen und Golems in die Menge. Sonderbare gezackte Waffen wurden geschwungen, neben dreifingrigen Händen mit hakenförmigen Krallen. Schreie donnerten wie heftige Brandung durch die Luft, und bald verwandelte sich der Tumult in pures Chaos. Als die grünen Nektoports sich schlossen und verblassten, hatten die Truppen die Menge bereits vollständig eingekreist. Riesengroße Sensen schwangen hin und her, fällten die Menschen reihenweise wie Unkraut. Klingen fuhren herab und spalteten Körper vom Kopf bis zum Schritt. Golems zerquetschten ganze Köpfe – und ganze Körper – mit unnachgiebigen Pranken und unter ambossartigen Füßen. Schergen zerrissen die Masse mit
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