Inferno
Äthers.«
»Na super«, sagte Via zu Hush. »Jetzt wird sie arrogant. Aber du hast Recht; wir können dich nicht aufhalten. Du kannst zurückkommen und jeden Stein in der Mephistopolis nach deiner Schwester umdrehen, wenn du willst.«
»Ja, das will ich«, versicherte Cassie.
»Wir müssen uns aber hier etwas ausruhen«, sagte Via mit schweren Augenlidern. Hush war auch schon dabei, vor dem absurden Fernseher einzunicken. »Wir sind schon die ganze Nacht unterwegs, aber für dich ist erst eine Sekunde deines Lebens vergangen.«
Cassie verstand nicht ganz, aber das war ja inzwischen der Normalzustand. Via und Hush rollten sich auf dem ekelhaften Bett zusammen und schliefen innerhalb von Sekunden ein.
Cassie verspürte das genaue Gegenteil: Sie war voller Energie und konnte es kaum erwarten, wieder aufzubrechen. Sie schlenderte durch das Zimmer, ohne den Blutspuren und den anderen Überresten vergangener Gräuel Beachtung zu schenken. Was kann man von einem Stundenhotel in der Hölle schon erwarten? Sie sah aus dem Fenster. Unter ihr staksten Prostituierte aller Gattungen die Straße auf und ab, auf der Suche nach Kundschaft. Ein Gargoyle saß zusammengekauert auf einem Sims des gegenüberliegenden Gebäudes. Tausende Jahre der Devolution hatten offenbar die Flügel dieser Wesen nutzlos gemacht; sie verbrachten ihr Leben damit, auf Gebäuden herumzukriechen. Der Gargoyle fauchte sie an und fletschte die Zähne, doch als Cassie ihre Gedanken auf ihn fokussierte, lief die schwache mentale Projektion ins Nichts.
Der Gargoyle lachte meckernd.
Es hat doch vorher funktioniert. Wieso klappt es jetzt nicht?
Da erhob sich unter dem Fenster ein Tumult: spitze submenschliche Schreie durchschnitten die Nachtluft. Cassie sah hinunter und entdeckte einen teuflischen Zuhälter, der auf einer jungen Prostituierten herumtrampelte; sie schien halb Troll, halb Imp zu sein. »Hör auf!«, rief sie hinunter, doch der Zuhälter sah nur auf, streckte einen krallenartigen Mittelfinger aus und trampelte weiter.
Cassie rief »Stop!«, ihre Aura blitzte auf, und der hornbewehrte Kopf des Zuhälters explodierte mit einem hässlichen Plopp .
Na also , dachte sie zufrieden, geht doch .
Die Prostituierte winkte ihr zu. »Danke!«
Cassie lächelte nur und nickte.
Sie versuchte, sich die Zeit mit fernsehen zu vertreiben, doch das war nicht so einfach. Ein Ghul in weißer Schürze moderierte eine Kochsendung, bei der sich Jamie Oliver sicher übergeben hätte. Cassie wechselte das Programm.
Jetzt fand sie eine Show namens VERKAUF DICH SELBST FÜR ZAP! Weiß verhüllte Neptomanten standen reglos daneben, während Zap-Süchtige Einzelteile ihrer eigenen Körper für Wahrsagungen abtrennten. Ein Mann sägte sich den Fuß ab und legte ihn in ein Rauchfass voll heißer Kohlen, während die verhüllten Wahrsager sich Notizen machten und aus dem Rauch lasen. Applaus vom Studiopublikum ertönte. Der Kandidat wurde mit einer einzelnen, mit der Droge gefüllten Spritze belohnt, die er sich unverzüglich in die Nase injizierte. Als Nächstes erhielt eine Frau gleich sechs volle Spritzen, nachdem sie sich freiwillig nackt auf ein rot glühendes Eisengitter gelegt hatte. Ihr Fleisch brutzelte, eine riesige Rauchwolke entstand. Mehr Applaus. Dann stand die Frau wieder auf, um ihre Belohnung in Empfang zu nehmen. Der gesamte rückwärtige Teil ihres Körpers war schwarz verkohlt.
Cassie wollte gerade den Fernseher ausschalten, da ertönte ein piepsendes Geräusch, und ein Newsticker begann über den Bildschirm zu flackern. ACHTUNG! ACHTUNG!
ACHTUNG!
Weiter: SCHALTEN SIE NICHT IHREN FERNSEHER AUS! BLEIBEN SIE DRAN, GLEICH FOLGT EINE DRINGENDE BEKANNTMACHUNG DES KANALS LUZIFER 1.
Eine stämmige Nachrichtensprecherin, deren Gesicht segmentiert war wie ein Schildkrötenpanzer, saß an einem Schreibtisch. Spitze Ohren standen seitlich zwischen dem adrett frisierten brünetten Haar hervor. »Die schockierendste Nachricht, die jemals im Höllenfernsehen berichtet wurde, hat heute Abend die Mephistopolis erschüttert. Das Büro der Constabler berichtete uns, dass eine echte Tochter des Äthers die Hölle betreten hat.«
Cassie beugte sich vor, die Augen weit aufgerissen.
»… und sich irgendwo in der Nähe des Boniface Squares verborgen hält. Alle Bewohner der Mephistopolis sind angehalten, nach dieser Frau zu suchen.«
Der Bildschirm zeigte jetzt etwas Ähnliches wie ein polizeiliches Phantombild – von Cassies Gesicht.
»O mein Gott!«, rief sie.
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