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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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die Knie. Alle Dörfler auf der Straße blickten voller Ehrfurcht gen Himmel.
    »Es ist Gott«, flüsterte einer.
    Luzifer rannte würgend heraus auf die Straße und zeigte mit dem Finger nach oben. »Das Ding da ist nicht Gott!«, brüllte er. Die Häuser bebten. »Ich bin mehr Gott als das da!« Luzifers Augen leuchteten auf vor Hass, oder war es in Wirklichkeit nur Verzweiflung, verborgen gehalten seit Jahrtausenden? Er forderte den Engel heraus. »Dann heile sie alle! Mach sie alle gesund – alle! Heile den ganzen Kontinent!«
    »Heile uns, Gott …«
    »Rette uns vor der Pest!«
    »Wir glauben an dich …«
    Die Aura des Engels verlor etwas von ihrem Glanz. Weinte er etwa? »Das ist mir nicht erlaubt. Aber Ihr alle werdet gerettet werden, durch Euren Glauben an den Allmächtigen Vater …«
    »Alles Quatsch!«, tobte Luzifer und zeigte immer noch nach oben. »Das Ding da kann euch nicht heilen! Wenn Gott so mächtig ist und so gut, wie kann er dann das alles zulassen? Erklärt mir das!« Dann rannte er nach vorn – »Jetzt passt mal gut auf!« – und blieb vor dem Totenkarren stehen. »Steht auf!«, schrie er, und die Sterbenden genasen, und die Toten kamen ins Leben zurück. Er blickte in die Menge und auf die vielen, die immer noch auf die Straße strömten und rief ihnen allen zu: »Ihr seid ALLE GEHEILT!« Und alle eitrigen Beulen verschwanden sofort, die Entzündungen waren gereinigt, die Augen nicht mehr blutunterlaufen.
    »Betet mich an!«, beschwor Luzifer sie. Alle umkreisten ihn und fielen auf die Knie. Er streckte seine Lichthände aus. »Das gesamte Dorf ist geheilt …«
    »Betrüger. Licht des Morgens, in deiner Dunkelheit bist du am schwächsten«, sprach der Engel. »Ich kann es kaum erwarten dir zuzusehen, wie du eintausend Jahre lang brennst.«
    Luzifer lächelte das Wesen an. Ja, genauso ein Lächeln hatte Christus auf den Lippen gehabt, als er die Bergpredigt begann. »Leck mich.«
    Der Engel flog davon.
    Er sollte eigentlich triumphieren, oder etwa nicht? Luzifer war am Boden zerstört. Ohne den Engel fühlte sich sein Stolz nutzlos an. Es gab niemanden, vor dem er angeben konnte. Er schob sich durch die Menge seiner neuen Anhänger, ohne ihren Lobeshymnen Beachtung zu schenken, ohne sie überhaupt wahrzunehmen, und taumelte zu dem Haufen Salz, der bis eben noch der Oni gewesen war. Der Stein , dachte er. Der Stein . Er durfte den Stein nicht vergessen. Er wühlte in dem Salzhaufen und fand ihn ganz unten. Der Kiesel war winzig, kleiner als eine Murmel, und rein weiß, vollkommen weiß. Aus dem Beutel an seinem Gürtel zog er eine Prise Enguerraudstaub – ein kosmisches Brechmittel – und legte sie sich auf die Zunge. Im nächsten Augenblick erbrach er sich in die Hand und im selben Moment, als der zweite Weiße Stein aus seinem Bauch entfernt war, öffnete Luzifer die Augen …
    Bring mich zurück …
    … und fand sich in der großen Scharlachhalle vor dem offenen Balkon im 666. Stockwerk des Mephisto-Turms im Herzen der Hölle.
    »Willkommen zurück, Herr.«
    Sherman mit seinen länglichen Schädeltransfigurationen und den implantierten Hörnern stand scheu in seiner schwarzen Rüstung da. Sein Gesicht war leuchtend rot, und er trug noch denselben Bart, über den er schon damals gestrichen hatte, als er seinen Truppen dabei zusah, wie sie auf seinen Befehl hin alles vergewaltigten und töteten, was sich in einer Stadt namens Atlanta noch bewegte. »Wir haben uns bereits Sorgen gemacht.«
    Luzifer hörte ihn gar nicht, ihn interessierte nicht, was Sherman zu sagen hatte. Er setzte sich auf seinen Thron aus reinstem Kristall und sah hinaus in den rubinroten Himmel. »Herr der Finsternis, was für ein Witz«, zischte er und seufzte. Einen Mangel an Selbstvertrauen war er bei sich selbst nicht gewohnt. Doch jetzt fühlte er sich kläglich und schwach.
    »Habt Ihr etwas gesagt, Herr?«
    Luzifer starrte vor sich hin. Ich will nicht der Herr der Finsternis sein. Ich will der Lebendige Herr der Welt sein . In zwei Kilometern Entfernung konnte er in einer Mulde die ekelhafte Oberfläche des Sees der Großen Fehler erkennen, wo er seinen größten Sieg gegen eine Armee von antiluziferischen Aufständischen gefeiert hatte. Ein einziger Bakterienfluch hatte sie alle verrotten lassen. Es war kein Wasser, was den See füllte, sondern Eiter. Als er nun auf seinen Erfolg blickte, hätte der Mann auf dem Kristallthron eigentlich Befriedigung verspüren sollen.
    Doch das tat er nicht.
    »Herr«,

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