Inferno
vieler Menschen. Dann endete die Gasse abrupt, und sie standen auf einem weiten Platz.
Die Piazza del Duomo .
Der riesige Platz mit seinem Ensemble von Bauwerken war das alte christliche Zentrum von Florenz und ein wahrer Touristenmagnet. Trotz der frühen Stunde parkten hier bereits zahlreiche Reisebusse. Besucherscharen bevölkerten den Platz um die berühmte Kathedrale der Stadt.
Langdon und Sienna waren am Südende der Piazza herausgekommen und blickten direkt auf die atemberaubende Fassade des Doms aus grünem, rosafarbenem und weißem Marmor. Die Kathedrale war gleichermaßen atemberaubend durch ihre Größe wie durch die Kunstfertigkeit ihrer Konstruktion.
Der Dom war ein gotisches Bauwerk, obwohl man beim Bau das traditionell einfarbige Filigran der Fassade zugunsten einer prachtvollen Mischung verschiedener Farben aufgegeben hatte. Bei seinem ersten Aufenthalt in Florenz war Langdon die Fassade als zu grell erschienen. Später jedoch hatte er den Dom eingehend studiert, und die ungewöhnliche Ästhetik hatte ihn mehr und mehr fasziniert. Irgendwann hatte er die spektakuläre Schönheit des Gebäudes verstanden.
Il Duomo – oder offiziell: La Cattedrale di Santa Maria del Fiore – hatte nicht nur Ignazio Busoni seinen Spitznamen beschert. Der Dom war das spirituelle Herz von Florenz, über Jahrhunderte voller Dramen und Intrigen hinweg. Seine lebhafte Vergangenheit reichte von langen und wütenden Debatten über Vasaris verachtetes Fresko des Jüngsten Gerichts bis hin zu heißen Disputen darüber, welcher Architekt den Bau vollenden sollte.
Schließlich hatte sich Filippo Brunelleschi den lukrativen Kontrakt gesichert und den Dom vollendet – damals der größte seiner Art. Bis zum heutigen Tag kann man vor dem Palazzo dei Canonici die sitzende Statue Brunelleschis bewundern, der zufrieden auf sein Meisterwerk blickt.
Als Langdon an diesem Morgen den Blick zu der berühmten roten Kuppel hob, jenem architektonischen Meisterwerk seiner Epoche, erinnerte er sich daran, wie er einmal unter Höllenqualen dort hinaufgestiegen war. Die engen, von Touristen verstopften Treppen waren kaum zu ertragen, wenn man wie Langdon unter Klaustrophobie litt. Später war er froh gewesen, dass er die Qualen trotzdem auf sich genommen und »Brunelleschis Kuppel« bestiegen hatte, denn das hatte ihn inspiriert, Ross Kings unterhaltsames Wunder von Florenz zu lesen.
»Robert?«, riss Sienna ihn aus seinen Gedanken. »Kommen Sie?«
Langdon bemerkte erst jetzt, dass er stehengeblieben war, um die Architektur zu bewundern. »Verzeihung.«
Sie eilten weiter und hielten sich dabei am Rand des Platzes. Der Dom lag rechts von ihnen. Langdon bemerkte, dass die ersten Touristen bereits wieder aus dem Seiteneingang strömten, um die nächsten Sehenswürdigkeiten auf ihren Listen abzuhaken.
Vor ihnen erhob sich der Campanile, das zweite von insgesamt drei Bauwerken des Ensembles. Gemeinhin als »Giottos Glockenturm« bekannt, bestand kein Zweifel daran, dass der Campanile zur Kathedrale gehörte. Errichtet aus dem gleichen rosafarbenen, grünen und weißen Marmor, ragte der quadratische Turm schwindelerregende fünfundachtzig Meter in den Himmel. Langdon fand es immer wieder erstaunlich, dass die schlanke Konstruktion sämtlichen Erdbeben, Hochwassern und anderen Katastrophen getrotzt hatte, erst recht, wenn man die Kopflastigkeit des beinahe zehn Tonnen schweren Geläuts bedachte.
Sienna ging neben Langdon her und suchte nervös den Himmel ab. Offenbar hielt sie Ausschau nach der Drohne, doch das kleine Fluggerät war nirgends zu sehen. Trotz der frühen Stunde waren bereits Scharen von Menschen unterwegs. Langdon achtete darauf, dass sie immer im dichten Gedränge blieben.
Als sie sich dem Campanile näherten, passierten sie eine Reihe von Karikaturisten, die ihr Geld mit Zeichnungen von Touristen verdienten – ein Junge auf einem Skateboard, ein Mädchen mit Riesenzähnen, ein sich küssendes Pärchen auf einem Einhorn. Langdon fand es amüsant, dass derlei Kunstwerke auf demselben heiligen Pflaster entstehen durften, auf dem schon Michelangelo als Knabe seine Staffelei aufgestellt hatte.
Langdon und Sienna umrundeten Giottos Glockenturm und wandten sich nach rechts, um den Platz vor der Kathedrale zu überqueren. Hier war das Gedränge am dichtesten. Touristen aus aller Welt richteten ihre Kameras, Fotoapparate und Mobiltelefone auf die farbenfrohe Fassade.
Langdon beachtete den Dom kaum. Er hatte bereits ein
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