Inferno
nicht! Wenn Sie mehr sauberes Wasser pro Kopf wollen, müssen Sie die Zahl der Köpfe verringern. Wenn Sie die Abgasemissionen verringern wollen, brauchen Sie weniger Autofahrer. Wenn Sie wollen, dass sich der Fischbesatz in den Ozeanen regeneriert, brauchen Sie weniger Leute, die Fisch essen.«
Er funkelte sie an, und sein Tonfall wurde noch eindringlicher. »Öffnen Sie endlich die Augen! Wir stehen am Abgrund. Die Menschheit selbst steht auf dem Spiel, und unsere Anführer sitzen in Konferenzräumen und diskutieren über Solarenergie, Recycling und Hybrid-Automobile? Wie kann es sein, dass Sie – eine hochgebildete Frau, eine Person der Wissenschaft – das nicht sehen? Ozonschwund, Wassermangel, Umweltverschmutzung – das alles sind nicht die Krankheiten, sondern ihre Folgen ! Die Krankheit ist die Überbevölkerung. Und solange wir diesem Problem nicht ins Auge blicken, verhalten wir uns wie jemand, der versucht, einen schnell wuchernden Tumor mit einem Heftpflaster zu heilen!«
»Sie betrachten die menschliche Spezies als Tumor?«, fragte Elizabeth.
»Krebs ist nichts anderes als eine gesunde Zelle, die sich unkontrolliert zu vermehren beginnt. Mir ist bewusst, dass Sie meine Ideen abscheulich finden, aber ich kann Ihnen versichern, die Alternative ist noch viel abscheulicher, wenn es erst soweit ist. Wenn wir nicht mutig handeln, dann …«
»Mutig?«, giftete sie. »Mutig ist nicht das Wort, das auf Ihre Vorstellungen zutrifft. Versuchen Sie es mal mit wahnsinnig !«
»Dr. Sinskey«, sagte der Fremde in einem beunruhigend sanften Ton. »Ich habe Sie hergerufen, weil ich hoffte, dass Sie als kluger, einflussreicher Kopf bei der World Health Organization vielleicht willens wären, mit mir nach einer Lösung zu suchen.«
Elizabeth starrte den Fremden ungläubig an. »Sie glauben ernsthaft, die WHO würde sich mit Ihnen verbünden … bei der Umsetzung einer derart grotesken Idee?«
»Allerdings«, sagte der Fremde. »Ihre Organisation ist voll mit Ärzten. Und wenn ein Arzt einen Patienten mit Wundbrand hat, dann zögert er keine Sekunde, ihm das Bein zu amputieren, wenn er dadurch sein Leben retten kann. Manchmal ist das kleinere Übel der einzige gangbare Weg, Doktor.«
»Aber das ist doch etwas ganz anderes!«
»Nein. Es ist identisch! Nur der Maßstab ist anders.«
Elizabeth hatte genug. Abrupt erhob sie sich. »Ich darf meinen Flug nicht verpassen.«
Der große Mann trat einen Schritt auf sie zu und versperrte ihr den Weg. »Ich warne Sie. Ich kann die Forschungen auch allein betreiben, wenn Sie nicht mit mir kooperieren wollen.«
»Nein, ich warne Sie «, schoss sie zurück. »Ich betrachte Ihre Ankündigung als terroristische Bedrohung und werde entsprechend agieren.« Sie zückte ihr Handy.
Der Mann lachte auf. »Sie wollen mich anzeigen, weil ich in Hypothesen gesprochen habe? Nur zu. Leider müssen Sie sich noch ein wenig gedulden – dieser Raum ist elektronisch abgeschirmt. Ihr Telefon funktioniert hier nicht.«
Ich brauche kein Signal, du Irrer! Elizabeth hob ihr Mobiltelefon, und bevor der Fremde begriff, was sie vorhatte, machte sie einen Schnappschuss von seinem Gesicht. Der Blitz spiegelte sich in seinen grünen Augen, und für einen Moment hatte Elizabeth den Eindruck, den Mann irgendwoher zu kennen.
»Wer auch immer Sie sind«, sagte sie. »Es war ein Fehler, mich herzurufen. Spätestens wenn ich den Flughafen erreicht habe, kenne ich Ihre Identität. Sie werden als möglicher Bioterrorist auf allen Überwachungslisten stehen: CDC , ECDC und WHO . Wir werden Sie beobachten, Tag und Nacht. Und wenn Sie versuchen, brisante Materialien zu kaufen, werden wir das erfahren. Wenn Sie ein Labor einrichten oder eins neu bauen, werden wir das erfahren. Sie können sich nirgendwo auf der Welt vor uns verstecken.«
Der Mann stand sekundenlang schweigend da. Er wirkte angespannt, als wolle er sich jeden Augenblick auf sie stürzen und ihr das Telefon entreißen. Dann jedoch entspannte er sich und trat mit einem unheimlichen Grinsen zur Seite. »So sei es denn. Mir scheint, unser Tanz hat begonnen.«
KAPITEL 32
Il Corridoio Vasariano – der Vasari-Korridor – war von Giorgio Vasari 1564 im Auftrag des Großherzogs Cosimo I. de’ Medici entworfen worden. Der lange Gang sollte einen sicheren Weg schaffen von seiner Residenz, dem Palazzo Pitti, hinüber zu den administrativen Büros im Palazzo Vecchio auf der anderen Seite des Arno.
Ähnlich dem berühmten Passetto des
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