Infinity (German Edition)
kräftig war.« Sie lächelte versonnen.
Klaras Mutter zog an ihrem Arm. »Besser, wir gehen jetzt«, wisperte sie heiser.
Klara schob die Augenbrauen zusammen und ignorierte den Vorschlag ihrer Mutter. Ein Gedanke drängte sich zwischen ihre aufgewühlten Gefühle. »In welchem Spital waren Sie denn bei Jonas’ Geburt?« Sie versuchte, ihre Stimme nicht scharf klingen zu lassen, obwohl sie die pummelige Frau am liebsten an den Armen gepackt hätte.
»Ach, ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Er war schon bei der Geburt ein richtig strammer Kerl gewesen. 4040 Gramm. Und 55 Zentimeter groß. Er hat’s mir nicht leicht gemacht, mein Jonas.« Sie kicherte wie ein Schulmädchen, das gerade mit einem Bravo- Heft unter der Bank erwischt worden war. »Woher er wohl diese Gene hat? Von mir sicher nicht.« Sie schaute an sich hinunter und kicherte noch einmal. »Bestimmt war er deswegen für die Impfaktion so geeignet …«
»Wo war das?« Jetzt konnte Klara ihre Ungeduld kaum mehr unter Kontrolle bekommen.
Ihre Mutter drehte sich in Richtung Aufzug. »Klara, komm jetzt. Lass die arme Frau Luger in Ruh.«
Frau Luger blinzelte irritiert. »In der Geburtenklinik … Jonas ist in der Geburtenklinik Fünfhaus zur Welt gekommen.«
Klara fuhr herum. »Mama? Das ist doch das gleiche Spital, in dem auch ich auf die Welt gekommen bin. Bin ich auch geimpft worden?«
Ihre Mutter presste die Lippen zusammen. Kurz wich ihr Blick zur Seite. Doch gleich darauf schaute sie Klara fest in die Augen. »Ja, bist du.« Weil Klara wegzuckte, hielt sie sie an den Oberarmen fest und zwang sie, ihren Blick zu erwidern. »Du bist wütend. Und du findest es verantwortungslos, dass ich dieser Impfung zugestimmt habe. Aber was auch immer du jetzt sagen willst: Hör mir zuerst einmal zu.«
Klara wehrte sich gegen den festen Griff. Der Aufruhr in ihrem Kopf rief nach sofortigem Handeln. Sie wollte analysieren, ob diese neue Information etwas mit dem Wahnsinn der letzten Tage zu tun hatte. Dazu musste sie allein sein. Ausflüchte und Erklärungen waren das Letzte, was sie jetzt hören wollte.
Aber etwas im Blick ihrer Mutter hielt sie zurück. Es schien wichtig, was sie zu sagen hatte. Also ließ sie sich zu einer Besucherbank führen, die auf dem Gang aufgestellt war und setzte sich neben ihre Mutter.
»Als ich dich zum ersten Mal in meinen Armen gehalten habe, bist du mir vorgekommen wie ein Wunder. Du warst so vollkommen – deine winzigen Fingerchen, die perfekten Zehen, dein Gesichtsausdruck – so stolz und eigensinnig, als wüsstest du, dass du dem Leben die Stirn bieten könntest.«
Unwillkürlich musste Klara lächeln. Sie betrachtete ihre Finger. Es war schwer vorstellbar, dass sie einmal so klein waren, wie Mama ihr eben vorgeschwärmt hatte.
»Ich hatte Angst. Würde ich es schaffen? Ich hatte keine Ahnung, wie es sein würde, eine Mutter zu sein. Ich war doch selbst gerade noch ein Kind gewesen. Könnte ich dir das bieten, was du verdientest? Du warst so einmalig. So wunderschön. Und ich war so verdammt jung. Und allein. Und überfordert.«
Wunderschön? Klara schnaufte leise. Das Bild aus dem Babyalbum erzählte eine andere Wahrheit. Aber Mama war diesbezüglich noch nie von ihrer Meinung abzubringen gewesen.
»Das Angebot, bei diesem Impfprogramm mitzumachen, war wie ein Geschenk des Himmels. Der Arzt hat mir alles ganz genau erklärt. Du würdest einen besseren Start ins Leben bekommen als alle anderen Babys. Du wärst gegen Krankheiten geschützt und könntest dich ungestört entwickeln. Alles, was ich tun musste, war eine Unterschrift zu leisten und die Verpflichtung einzugehen, dich zu weiteren Tests und Untersuchungen in die Praxis des Kinderarztes zu bringen. Die Besuche wurden in einen Pass eingetragen und ich bekam nach Einhaltung der Termine einen Zuschuss zur Geburten- und Kinderbeihilfe.«
»Du hast Geld dafür gekriegt?« Klara blies die Wangen auf.
»Ja. Eine Unterstützung, die ich dringend gebraucht habe. Dieses Geld hat es mir erlaubt, für deine Ausbildung angemessen zu sorgen. Hast du dich denn nie gefragt, womit ich die Ausflüge, Reisen und Zusatzkurse bezahlt habe, die du in deiner Schulzeit bisher mitgemacht hast?«
Ihr Blick wanderte zu dem Handy, das Klara in den Fingern drehte. »Und das iPhone, das du dir gewünscht hast – glaubst du, ich hab das geschenkt bekommen?«
Klara schoss das Blut ins Gesicht. Nein. Darüber hatte sie nie nachgedacht. Sie biss sich auf die Lippen.
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